Saisonrückblick 2020
Eine normale Strahlnersaison in absolut verrückten Zeiten
Ein Rückblick auf den vergangenen Strahlnersommer 2020
Bruno Müller
Im vergangenen Jahr wurden wir zweifelsfrei mit verrückten Tatsachen konfrontiert. Nie, aber auch wirklich nie hätte ich mir träumen lassen, dass wir jemals unisono in der Schweiz mit einer farbigen Schutzmaske vor Mund und Nase in der Gegend herumlaufen. Ebenso fern war mir der Gedanke, dass sowohl das Mineralienmuseum wie auch die Altdorfer Mineralientage einem winzig kleinen Virus zum Opfer fallen würden und abgesagt werden müssten. Nun, die Pandemie beschäftigt uns noch immer und auch die Durchführung der kommenden Veranstaltungen scheint mehr als fraglich zu sein. Glücklicherweise beruhigte sich die Situation nach der ersten Welle im Frühling 2020 soweit, dass wenigstens die gemeinsamen Strahlnerausflüge getätigt werden konnten. Das Zusammenleben im engen Biwak war für ein paar Monate frei von Gedanken an ansteckende Krankheiten, Lockdowns und Pandemien.
Meteorologisch betrachtet, war der vergangene Winter eine totale Ausnahmeerscheinung: Von Dezember bis einschließlich Februar war die Grundströmung zonal geprägt. Unterbrochen wurden die zonalen Wetterlagen im Dezember und Januar von längeren - milden - Hochdruckphasen. In Summe aber erreichte der Winter 2019/2020 eine Durchschnittstemperatur von +4,1 Grad und fiel im Vergleich zur Referenzperiode von 1961-1990 um +3,9 Grad viel zu warm aus. Gegenüber der Vergleichsperiode von 1981 bis 2010 betrug die Abweichung +3,2 Grad. Damit reiht sich der Winter 2019/2020 als zweitwärmster Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen von 1881 hinter dem wärmsten Winter von 2006/2007 in die Wettergeschichte ein. Damals betrug die Abweichung im Übrigen +4,4 Grad.
Diese Konstellation führte dazu, dass unterhalb von 1000 m die Niederschläge während des ganzen Winterhalbjahres zum grössten Teil als Regen statt als Schnee fielen und der wenige Schnee höchstens ein paar Stunden oder Tage liegen blieb. Betrachtet man die mittlere Schneehöhe, führte dies in diesem Höhenbereich zum schneeärmsten Winter seit Messbeginn, knapp vor dem Winter 1989/90, aber klar vor dem Winter 2006/07. An mehreren Stationen wie z.B. Marsens, FR (718 m), Einsiedeln, SZ (910 m) oder Elm, GL (965 m) wurden noch nie so wenige Schneetage (Tage mit mindestens 1 cm Schnee) wie in diesem Winter beobachtet. Dazu passt, dass an den tief gelegenen Innerschweizer Stationen Altdorf, Stans und Luzern (Messbeginn 1883) erstmals kein Neuschnee gemessen werden konnte. Zwischen 1000 m und 1700 m waren die Schneehöhen fast überall die meiste Zeit unterdurchschnittlich (10 % bis 90 %). Am westlichen und zentralen Alpennordhang galt das auch oberhalb 1700m. In den übrigen Regionen waren die mittleren Schneehöhen oberhalb von 1700 m am östlichen Alpennordhang und im Engadin dagegen mehrheitlich durchschnittlich, im Nordtessin und im südlichen Wallis teilweise überdurchschnittlich. Diese überdurchschnittlichen Schneehöhen sind vor allem auf die grossen Schneefälle Anfang Winter und im Februar (nur das Wallis betreffend) zurückzuführen.
Die Hoffnung auf eine rasche Ausaperung im Vorsommer schien also durchaus berechtigt. Wie aber schon die alten Strahlner genau wussten, frisst erst der Sommer den vorhandenen Altschnee. Ein wettermässig durchzogener Mai und ein kühler Juni bremsten diesen Schmelzprozesse aber massiv. So zeigten sich die Verhältnisse Anfang Juli in Höhenlagen ab 2500 m durchaus als noch „gut zugeschneit“. In tieferen Lagen war die weisse Schicht aber schon sehr früh verschwunden und erlaubte erste Strahlgänge. Wer aber gerne im Hochgebirge den funkelnden Steinen nachjagt, musste sich noch etwas gedulden. Da und dort wurden die ersten Biwaks wieder flott gemacht und das einheimische Helikopterunternehmen flog fast wöchentlich Material für eine der zahlreich agierenden Strahlnergruppen hoch zum Berg.
Wenn das Team vom Planggenstock - Franz von Arx und Elio Müller – mit der Baustelleninstallation beginnt, ist der Beginn der Strahlnersaison nah. Betreffend der ja ohnehin absolut einmaligen Kluft schossen schon bald die wildesten Gerüchte ins Kraut. Da wurde sogar kolportiert, dass die beiden Strahlner einen Quarzspitz gefunden hätten, der nur mit dem grössten Schwerlasthelikopter der Welt zu transportieren sein. Anlässlich der Herbstversammlung der Schweizer Berufsstrahlner verwies aber Franz von Arx diese Aussagen vehement ins Reich der Legenden. Was die beiden fleissigen und tüchtigen Strahlner tatsächlich im vergangenen Jahr gefunden haben, werden wir sicher an der einen oder anderen Börse oder sogar an einer Sonderausstellung zu sehen bekommen. Nach einer langen Durststrecke und angesichts der grossen Investitionen ist ihnen ein schöner Fund mehr als gegönnt.
Ebenfalls viel Aufwand betrieben die Brüder Steinbrugger, die im Bereich des Galenstocks massive Schmelzarbeiten in einer grossen, von Permafrost durchsetzten Kluft leisteten. Hier waren relativ grosse Morionspitzen der Lohn tagelanger Arbeiten in Nässe und Kälte. Nicht weit davon entfernt, bearbeitete das Team um Christoph Betschart eine im Vorjahr entdeckte Kluft mittels Spaltkeilen. Leider wurde an einer grossen, mit einem Gwindel besetzten Stufe, die vor der Kluft gut eingepackt deponiert lag, in frevelhafter Weise Material stümperhaft abgeschlagen. Als durchaus grosszügiges Trostpflaster wurde dafür dem betroffenen Team gegen Ende September in der Furkaregion eine prachtvolle, reife Kluft „geschenkt“. So nah liegen manchmal Glück und Leiden beieinander. Von dieser neuen Stelle werden wir hoffentlich dereinst im Mineralienfreund etwas lesen können. Momentan ist der Fund aber zu „heiss“, um detaillierter darüber schreiben zu können.
Der Sommer zeigte sich im Verlauf von August und September von seiner freundlichsten Seite: Wenig Niederschläge, fast keine Gewitter und durchaus angenehme Temperaturen sorgten für viel Freude und Optimismus bei all den Strahlnern. Nachrichten von guten oder gar aussergewöhnlichen Funden wurden sonst keine via „Buschtelefon“ übermittelt. Aber ich bin sicher, dass der eine oder andere Strahlner mit einem schönen Stück abends heimwärts ziehen durfte. Unsererseits verbrachten wir zu viert wieder eine intensive Zeit im Strahlnerbiwak und genossen das unbeschwerte Dasein in dieser Höhenlage.
Die Streifzüge rund um den Galenstock belohnten uns manchmal mit einem schönen Spitz oder einem filigranen Rauchquarzstüfchen. Glücklicherweise hatte wir im Vorjahr kurz vor Wintereinbruch eine vielversprechende Kluft entdeckt, an der wir nun unsere frisch erworbene Bohrbewilligung der Korporation Urseren anwenden durften. So zogen die sonnendurchfluteten Tage ins Land und wir genossen jede Minute davon an unserer Arbeitsstelle. Leider wurde durch ein grobes Missgeschick der Einsatz des Rettungshubschraubers nötig. Mein Bruder Kurt riss sich in äusserst schmerzhafter Manier eine Sehne am Daumen ab und konnte so unmöglich den langen Abstieg ins Tal selber bewerkstelligen. Die ganze Rettungsaktion ging reibungslos über die Bühne und bereits ein paar Wochen später begleitete er mich wieder, bewehrt mit einem Gips, auf einem Streifzug zum Chli Bielenhorn.
Ende September schneite es bereits wieder bis auf 1000 m herunter. Zwar verschwand der Schnee noch einmal und machte dem milden Altweibersommer Platz. Im Oktober war dann aber endgültig Feierabend. Ein heftiger Wintereinbruch mit bis zu einem Meter Neuschnee beendete eine durchaus normale Strahlnersaison in einer sonst absolut verrückten Zeit. Ich wünsche allen Strahlnern und Strahlnerinnen in der kommenden Saison viel Glück und Gesundheit. Hoffen wir, dass die zwischenmenschlichen Kontakte wieder zahlreicher möglich sind und wir uns wieder an den Mineralienbörsen oder im Museum ganz normal und ohne Schutzmaske treffen können.