Die Kluft im Schrund
Die Kluft im Schrund
Im Jahre 2012 fand Bruno eine neue Stelle in unserem geliebten Strahlnergebiet. Ca. 5 Meter im Gletscherschrund unten ragte ein verdächtiger Satz heraus. Leider war es für uns unmöglich ohne technische Hilfsmittel an diese Stelle heranzukommen. Kurzerhand entschlossen wir uns einen Bohrhaken zu setzen, um uns in die Weiten des Gletschers abzuseilen. An der verdächtigen Stelle angekommen, war das Schicksal noch nicht auf unserer Seite. Es lag noch viel Eis in der Kluft und uns blieb somit der Eingang versperrt. Nach reichlicher Überlegung und ohne das Spitzeisen anzusetzen, seilte sich Bruno wieder hoch ins Sonnenlicht.
„Da müssen wir wohl noch ein bisschen Geduld haben und die Arbeit verschieben!“
Der darauffolgende Sommer 2013 brachte die Kluft nicht einmal ansatzweise zum Vorschein. Somit blieben uns nur die Gedanken an die Stelle in Erinnerung. Bei einer Strahlnertour im Oktober 2014 kam ich wieder an diesem Felsen vorbei. Als ich mich auf den Gletscher kniete, den Kopf in den Schrund hielt, konnte ich die Kluft wieder sehen. Von dem nicht so geliebten Eis war in der Kluft nicht mehr viel zusehen. Anders als im Jahre 2012 mussten es wohl in diesem Sommer schon einige Sonnenstrahlen am Gletscherrand vorbei in die Kluft geschafft haben.
Mit dieser frohen Botschaft im Gepäck und in Anbetracht alleine nichts ausrichten zu können, verlies ich die Stelle wieder. Am darauffolgenden Samstag war dann Bruno wieder dabei und wir gingen auf direktem Wege zu diesem besagten Felsen. Mit von der Partie war diesmal auch Georg. Er versuchte die Impressionen und Freuden der Kristallsuche mit der Kamera einzufangen. Als wir bei der Stelle ankamen, bohrte Bruno einen neuen Haken. Mit dieser Änderung konnte sich Bruno besser absichern als vor zwei Jahren. Bruno seilte sich dann wagemutig in den Gletscherschrund ab und inspizierte die Kluft erneut.
Kurze Zeit später erblickte auch schon der erste Spitz nach Millionen von Jahren das Sonnenlicht. Ich musste mich auf das Eis legen damit der Spitz aus Brunos Hand fischen konnte „Juhu jetzt geht’s los“ und durchs Strahlnergebiet hallte ein lauter Schrei. Die Kluft war jedoch nicht Reif zum Ernten denn die Kristalle waren angewachsen. So musste Bruno mit dem Spitzeisen und Fäustel die Kristalle von dem harten Granit lösen .Es waren grosse Kristallspitzen mit leicht chloritisierten Flächen, die zu Vorschein kamen.
Ich arbeitete derweilen an einer älteren Stelle weiter rechts. Immer aber im Blick- und Hörfeld von Bruno. Bei meiner Tätigkeit wurde ich immer wieder unterbrochen, denn ohne meine Hilfe war es für Bruno unmöglich die Kristalle auf den Gletscher ans Tageslicht zu befördern.
Immer wieder war ich aufs Neuste gespannt und dann erstaunt was mir Bruno da zu fassen gab. Die geborgenen Kristalle musste ich auf den Gletscher legen. Zum ersten Mal in meiner noch jungen Kristallsucherlaufbahn diente der Gletscher als Ablagefläche für die geborgenen Kristalle. Sucht man sich doch normalerweise einen Platz mit einem festeren Untergrund. Wie gesagt konnte ich mich dann zwischenzeitlich immer wieder um meine Kluft kümmern. Am Anfang dachte ich das sei doch eine gute Nebenbeschäftigung anstatt zu warten bis Bruno wieder meine wertvolle Hilfe benötigte. Auch ich hämmerte mit dem Fäustel auf das Spitzeisen und versuchte dem harten Felsen einige Kristalle zu entlocken. Auch hier war alles verwachsen und ich musste viel Band wegspitzen. Schlussendlich kann man ja nie wissen was sich dahinter versteckt. Im Gegensatz zu Bruno befand ich mich ja am Tageslicht, und da es an diesem Tag ein wunderschöner warmer Herbsttag war, fiel mir das Spitzen sicher leichter. Mir gefiel der Felsen und die Konstellation, denn die Öffnung zeigte nach unten. Das motivierte mich natürlich noch mehr.
Tatsächlich konnte ich immer weiter vordringen und dann geschah das was sich jeder Strahler wünscht, wenn er beim Bearbeiten einer Kluft ist. Es öffnete sich eine Tasche. Eigentlich völlig unerwartet hinter den angewachsenen Bandzinggen. Mein Puls schnellte sofort nach oben. Das harte Werkzeug wurde beiseitegelegt und ein Häkchen musste ran. Vorsichtig und mit der Geduld eines Adlers der auf seine Beute lauert, konnte auch ich jetzt einige Kristalle bergen.
Georg, der die ganze Szenerie filmte, kam jetzt dann langsam aber sicher auch ausser Atem. Die Kamera von ihm mussten jetzt auf zwei Klüfte eingestellt werden. Die Kristalle von meiner Kluft waren ein wenig chloritisiert, was sich aber zuhause beim Waschen als nicht sonderlich störend erwies. Mit der Zeit wuchs unser Mineralienlager zu einer stattlichen Grösse an. Auch das ist ein Novum in meiner Strahlnerkarriere, wenn das Mineralienlager von zwei Klüften versorgt wird. Bruno stieg dann auch wieder aus seiner unbequemen Lage im Schrund hervor. Das Nass und die Kälte tief im Schrund konnte ich nur erahnen. Die wärmenden Sonnenstrahlen waren daher sehr willkommen. Georg zeigte sich sehr zufrieden mit den Aufnahmen. Zusammen haben wir dann die besten Stücke in den Rucksack verpackt. Nach einer kurzen Verweildauer und dem obligaten Sonnenbaden auf einem flachen Felsen, machten wir uns dann auf den Heimweg. Wiederum haben wir einen herrlichen Strahlnertag Tag in den Bergen verbracht. Leider stellte sich hinaus dass dies unser letzter Strahlnertag dieser Saison sein sollte.
Regli Emanuel