Saisonrückblick 2010
Die Strahlersaison 2010
Ein persönlicher Rückblick
An dieser Stelle - pünktlich mit dem Erscheinen des ersten Mineralienfreund im neuen Jahr - hielt ich jeweils Rückschau auf die vergangene Strahlersaison. Nach fast 10 Jahren fortwährender Berichterstattung läuft man Gefahr, sich ständig zu wiederholen und abgedroschene Phrasen zu benützen. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet mir in diesem Rückblick auch der Umstand, dass im vergangenen Sommer sehr oft garstiges Wetter mit zahlreichen Niederschlägen herrschte. Die Funde blieben rar oder beschränkten sich auf vereinzelte, kleinere Klüfte. Eine sehr schöne Kluft durften unser Vorstandsmitglied Peter Herger, sein Vater Paul Herger und ihr Kollege Patrik Denier finden. Sie werden im nächsten Mineralienfreund über ihr Glück berichten. Ebenfalls erfolgreich war ein weiteres Vorstandsmitglied unserer Vereinigung. Russi Martin bearbeitete in der Furkapass-Region eine Kluft, die ihm sehr viel Material lieferte. Leider waren praktisch alle Stufen mit einer matten Oberflächenschicht behaftet, die den sehr ästhetischen Gruppen viel von ihrer Brillanz nahmen. Im Maderanertal, im Fellital, aber auch in der Göscheneralp und rund um den Furkapass wurden trotz der Wetterunbill immer wieder nach den verborgenen Mineralien gesucht. Gemäss meinem Wissenstand, blieb aber der ganz grosse Fund aus. Ich werde daher den Jahresrückblick ein wenig persönlicher gestalten und lasse ein paar meiner Gedanken und Erlebnisse in diesen Beitrag einfliessen.
Den ganzen, vergangenen Winter beschäftigte mich in Gedanken eine Kluft, an der ich selber aber noch nie gearbeitet hatte. Mein Strahlerfreund Sepp Jauch entdeckte spät im September 2009 eine vielversprechende Stelle, von der er ein paar Muster ins Tal brachte. Der baldige Wintereinbruch „konservierte“ den noch nicht geborgenen Kluftinhalt unter einer dicken Schicht aus Schnee und Eis. Sepp selber konnte nicht eindeutig sagen, wie viel Material noch oben in der Kluft war und welche Qualität diese Steine haben würden. Anhand der geborgenen Musterstufen, konnten wir aber getrost der neuen Strahlersaison entgegenblicken.
Zu Ostern hielt es mein Bruder Kurt vor lauter Strahlerfieber nicht mehr aus. Da um diese Jahreszeit ein vernünftige Kristallsuche in den höheren Regionen schlicht unmöglich ist, wollte er sein Glück im Reusstobel bei Intschi versuchen. Leider konnte ich nicht mit von der Partie sein, da wir auf der Voralphütte zahlreiche Anmeldungen von Skitouristen hatten und daher eine komplette Bewartung unbedingt erforderlich war. Wenn ich alles gewusst hätte, wäre ich besser mit meinem Bruder ins Tobel gegangen... Von den fast hundert Angemeldeten erschienen zum Schluss wegen dem unsicheren Osterwetter noch ganze sieben Skitouristen. Zur selben Zeit, als ich auf der Hütte Däumchen drehte, tätigte mein Bruder im Reusstobel den wohl bedeutendsten Apatitfund der vergangenen 20 Jahre (siehe Bericht im Mineralienfreund 4/2010).
Ende Juni fand ich meinen ersten Kristall der Saison 2010. Wegen einem Felssturz am Salbitschijen, der den neuen Verbindungsweg zwischen Voralp- und Salbithütte beschädigt hatte, war ich zusammen mit Spezialisten der Gasser Felstechnik AG unter dem ersten Westgratturm am Fels reinigen. Unsere Baustelle lag etwas oberhalb der beiden alten Klüfte von Paul von Känel, die jener während einer Klettertour dort oben fand. Damals hatte Paul am Einstieg der geplanten Route bemerkt, dass er seine Kletterpatschen vergessen hatte. Nun musste er notgedrungen seine Zeit mit anderen Aktivitäten verbringen und fand beim Umherstreifen diese beiden Klüfte. In einer Seitentasche konnte ich noch einen kleinen Spitz ergattern, den ich als Andenken an den Felssturz und die anschliessenden Felsreinigungsarbeiten nach Hause nahm.
Im Juli erlaubte das wechselhafte Wetter ab und zu einen Strahlgang zum Brunnenstöckli oder zum Chli Sustenhorn. In der Regel aber war ich auf der Voralphütte genügend beschäftigt, brachte doch die neue Hängebrücke am Salbitschijen deutlich mehr Gäste auf unsere Hütte. Sehr gut in Erinnerung geblieben ist mir jener Nachmittag, als Oskar Traxel mit blutverschmiertem Gesicht auf der Hüttenterrasse erschien und unverdrossen ein Bier bestellte. Er hatte unterhalb vom Sustenhorn, während dem Strahlen, einen Stein, der sich oben auf dem Gletscher gelöst hatte, mitten ins Gesicht gekriegt. Wie er halb besinnungslos noch den Abstieg über die im dritten Schwierigkeitsgrad gelegene Ostgratroute geschafft hat, ist mir bis heute ein grosses Rätsel geblieben. Oskar selber erinnert sich nur an einen Schlag ins Gesicht und an meine „ärztlichen Künste“, die ich im auf der Hüttenmauer zukommen liess. Was dazwischen lag, ist aus seiner Erinnerung gelöscht. Kein Wunder diagnostierte ihm sein richtiger Doktor im Nachgang eine schwere Hirnerschütterung. Zusätzlich erhielt Oskar eine Reihe neuer Zähne, da die alten durch die Wucht des Steinschlags alle gelockert oder sogar ausgeschlagen waren. Dass hätte ein ganzes böses Ende nehmen können.
Im Herbst war mir an der fast genau gleichen Stelle das Glück ebenfalls hold, als mich ein faustgrosser Stein lediglich am Knie streifte und seitlich eine Fleischwunde hinterliess. Zwei Zentimeter weiter links und meine Kniescheibe hätte wohl das Zeitliche gesegnet. Noch heute schaudert es mich beim Gedanken daran....
Im August war dann endlich die Zeit gekommen, um an der vielversprechenden Stelle von Sepp die Arbeit aufzunehmen. Das mit Blick zur Kluft links verlaufende Quarzband wurde nach unserer Einschätzung bereits schon früher von einem anderen Strahler bearbeitet. Damals versperrte aber ein riesiger Felsblock den Zugang zum eigentlichen Hohlraum. Durch das Zurückweichen des steilen Schneefelds unterhalb der Kluft verlor der erwähnte Felsblock irgendwann sein Fundament und verabschiedete sich ins Tal. Nun lag die Kluft offen und der erste Strahler der nach dem Abgang des gewaltigen Blocks an dieser Stelle vorbeikam, war glücklicherweise unser Sepp. Nach einem ersten Vordringen in den Hohlraum versperrte ein weiterer Felsblock den Zugang in tiefere Gefilde. Mit einem geschickt installierten Seilzug wurde aber auch dieses Hindernis beseitigt. Bald merkten wir, dass mitten in der Kluft eine grössere Stufe zwar lose, aber trotzdem noch gut verankert lag. Mehrere Stunden und viele Schweisstropfen später lagen die 70 kg Quarz - wohlgeordnet zu einer herrlichen Gruppe – vor dem Klufteingang. Da noch ein paar mittlere Stufen folgten, entschiede wir uns für den Einsatz des Helikopters. Nach Rücksprache mit Heiri Müller, dem Strahleraufseher der Korporation Urseren, flogen wir die Stufen ins Tal runter. Eine eindrückliche Strahlersaison fand damit für uns ihren krönenden Abschluss.