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09. Mai 2018

Jerzu / Isola del Tesoro
Was für ein wunderschönes und lieblich positioniertes Klettergebiet! Die versteckte Traumwand ist von keiner Strasse aus sichtbar und wurde daher erst spät entdeckt. Die Erschliesser wähnten sich wohl im Paradies, als sie die ersten Linien an diesem Felsband in Angriff nehmen durften. Die bis zu 50 Meter hohen Felsen sind auf einem bequemen Band sehr gut erreichbar und bieten ein Fülle an lohnenden Routen im Bereich 5c bis 8a. Tropflochfels vom Besten, gute Absicherung und das einzige Team weit und breit - Kletterherz, was willst Du mehr?

Der Zugang über die Schlammpiste und durch die mit Wasser gefüllten Schlaglöcher war dank unseren allrad-getriebenen Karrossen machbar, aber an der Grenze der Möglichkeiten. Wer sein Automobil schonen möchte, muss eine Viertelstunde mehr Anmarsch in Kauf nehmen. So aber standen wir nach wenigen Minuten auf dem Horizontalband am Wandfuss und konnten einen ersten Augenschein der angebotenen Kletterei geniessen. Ein heruntergeklappter Kiefer, staunende Augen und ein erwartungsfrohes Herumtänzeln waren fast bei allen Anwesenden erkennbar. Etwas Sorgen bereitete einzig das Wetter. Anhand der dichten Bewölkung wäre ein Sprutz Regen wohl nicht überraschend gekommen.

"Keine Zeit verlieren" hiess die Devise, und schon bald klimperten die Karabiner in den ersten geklebten Bohrhaken. Die hohen Erwartungen wurden vollends erfüllt. Der eisenfeste Kalk war perfekt geformt, wies guten Grip auf und war bis auf wenige Ausnahmen durchwegs trocken - nach den vorangegangen Starkniederschlägen keine Selbstverständlichkeit. Zum Einklettern wählten wir die langen und relativ einfachen Routen bei einer grossen Verschneidung. Die bis zu 35 Meter hohen Routen verlangten einen abwechslungsreichen Kletterstil, bei dem Piazzen an grossen Schuppen auch nicht fehlen durfte.

Die schwereren Linien waren dann eher geprägt von guter Fusstechnik und Ausdauerkraft an Fingerlöchern. Auch der eine oder andere überhängende Einstieg verlangte gezielten Krafteinsatz. Inzwischen hatte der Himmel aufgeklart, was wohl dem starken Wind zu verdanken war. So konnten wir uns unbeschwert und auch unter optimalen Temperaturbedingungen den verschiedenen Projekten widmen. Und solche waren genügend vorhanden...

Das ganze, langezogene Massiv beherbergt über 100 verschiedene Routen in fast allen Schwierigkeitsgraden. So richtig auf seine Kosten kommt man im Bereich 6b bis 7b. Im französischen 5. Grad hat es nur sehr wenige Routen im Angebot.
Auch hier staunten wir, dass wir den ganzen Tag das Massiv für uns alleine geniessen konnten. Einzig ein Geisshirt mit seiner munteren Herde war in der Nähe erkennbar. In dieser weitläufigen und üppig wuchernden Landschaft sicher ein Paradies für die gefitzten und extrem trittsicheren Tiere.

Als im Verlauf des Nachmittags die Kletterlust langsam abflaute, besuchten Hans und ich noch einen benachbarten Felsdom. Zu unserer Überraschung war trotz hervorragenden Möglichkeiten keine Spur irgendwelcher Klettertätigkeiten zu erkennen. Das Angebot an rasch zugänglichen Routen ist jetzt schon so riesig. Da werden wohl etwas entferntere Felsen mit Potential gar nicht beachtet. In Ländern mit deutlich mehr Dichtestress wären diese Felsen wohl schon lange komplett erschlossen. Schön, wenn es auch die andere Seite noch gibt...

Tief zufrieden und mit müden Armen genossen wir noch ein wenig die Aussicht ins Hinterland. So hatte ich mir diesen Klettertrip nach Sardinien wirklich vorgestellt: Perfekter Fels, angenehme Temperaturen, aufgestellte Leute mit Witz und Humor und die absolute Ruhe an diesem wunderbaren Fleck Erde.

Nun hiess es aber Abschied nehmen von diesem bezaubernden Ort. Auf dem Rückweg staunten wir über die botanische Vielfalt der Natur. Dabei war der Blick immer wieder konzentriert auf den Boden gerichtet, aber gemäss Informationen aus dem Internet kennt man in Sardinien keine wirklich giftigen Schlangen oder gefährlichen Skorpione.

Etwas Vorsicht beim Durchstreifen der Büsche und Wiesen schien mir trotzdem kein schlechtes Verhalten. Über die Schlammpiste ging es zurück zur Strada Provinziale, die uns rasch nach Ulassai brachte, wo wir im Hotel mit einem Schaf vom Grill, gespickt mit sardischen Spezialitäten, verwöhnt wurden. Ein perfekter Abschluss dieses wunderbaren Klettertags!