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12. Mai 2017

Talavellu
Punta Picchiatu

Mit der einsetzenden Morgendämmerung ging für mich eine unangenehme Nacht zu Ende. Die bereits am Vorabend spürbare Magenverstimmung hielt mich die ganze Nacht auf Trab. Nun füllte ich mich wie "ä üsgfransetä Kalberhälslig". Dabei hatten doch die Kollegen gestern abend noch von einem genialen Sektor geschwärmt...

Am "Talavellu" lockten wunderschöne Tafoni-Linien - in meinem Zustand aber wohl ein weit entfernter Traum. Der mit Tafoni durchlöcherte, daumenförmige Turm, steht etwas abseits der anderen Sektoren und weist bloss vier Linien im Bereich 6a bis 7a+. Diese vier Routen sind aber traumhaft schön, relativ lang, leicht überhängend und gewürzt mit einem Ausstieg über kompakte, kleingriffige Wandstellen.

Ein Coca-Cola zum Frühstück hatte meinen lädierten Magen etwas beruhigt. Trotz Schwächegefühl wollte ich zumindest mal den Wandfuss besuchen und vor Ort entscheiden, ob ich den Klettergurt aus dem Rucksack klauben würde. Der 10-minütige Zustieg mit negativer Höhendifferenz und die frische Bergluft wirkten positiv auf meinen Allgemeinzustand.

Unter dem Fels kam mit dem Blick nach oben schlagartig die Kletterlust zurück. Wenigstens die geniale Kante auf der linken Turmseite wollte ich mal versuchen. Schon der Start an griffigen Löchern sorgt für grossen Spass. Weiter oben drängt der Fels nach aussen, ist aber immer noch sehr kletterfreundlich strukturiert.

Noch ein, zwei kräftige Züge, und ich war aus dem Gröbsten raus. Gross war die Freude, was auch meinem Magen scheinbar gut tat. Zurück am Boden studierte ich gleich die nächste Linie, von der unsere Freunde geschwärmt hatten. Der kaminartige Start dieser Route mündete schon bald in einen Überhang, der dank Tafoni gut zu bewältigen ist. Nun folgte noch kleingriffige Wandkletterei zur Kette. Erschöpft, aber glücklich fädelte ich das Seil ein. Das Tagesziel war trotz widriger Umstände erreicht.

Nun stand einem Besuch bei Hans und Walter im Sektor "Punta Picchiatu" nichts mehr im Weg. Wir wollten die zwei bei ihrem Versuch in der "Balade en hypoxie" beobachten und natürlich auch entsprechend anfeuern.

Der kurze Zustieg brachte mich ein wenig ausser Atem - kein Wunder nach dieser schlaflosen Nacht auf der WC-Schüssel. Ein letztes Gestrüpp kämpften wir uns hoch und standen in der grottenähnlichen Ausbuchtung der Punta Picchiatu.

Da standen Hans und Walter am Wandfuss, den Rucksack geschultert, und schauten gar etwas betrübt in die Welt hinaus. Was war geschehen? In einer stark überhängenden Aufwärmroute hatte sich Hans, den Umlenker schon in Griffnähe, eine Rippe gezerrt. Ein Weiterklettern war utopisch. Ich bedauerte die beiden: Ausgerechnet am letzten Klettertag, in einer der letzten Routen, musste so etwas passieren. Noch schlimmer wäre es wohl zu Beginn der Kletterferien gewesen. Was nun?

Ich sah es Walti förmlich an, dass er auf ein Zeichen von mir wartete. Meinerseits fühlte ich mich noch immer ziemlich schlapp, wollte aber Walti zu liebe einen Versuch in der "Balade en hypoxie" wagen. Beim Blick in den gewaltigen Überhang fragte ich mich allerdings, ob das tatsächlich eine gute Idee war.

Vorsichtshalber hängte ich einen alten Karabiner an den Gurt. Im schlimmsten Fall konnte ich immer noch den Rückzug antreten. Ein letzter Schnupf, und los ging's in den bereits sehr steilen Startabschnitt.

Nach ein paar guten Löchern kam bereits eine erste Passage mit mageren Griffen. Der anschliessende Sitzplatz auf einem Band kam da wie gelegen. Nun aber ging es waagrecht hinaus...

Immer wieder fanden meine Hände ein ausgewaschenes Loch. Die Füsse zu platzieren war eh kein Problem. Eine nächste "lochlose" Passage mit runden Auflegern forderte da schon deutlich mehr Einsatz.

Dann versank ich wieder im Meer der Löcher und kämpfte mich Meter um Meter höher. Die Absicherung mit soliden Bohrhaken war zwar weit, aber in diesem Gelände ist ein Sturz absolut harmlos. Den Fels wieder zu erlangen, wäre wohl dabei die grössere Herausforderung gewesen.

Irgendwann hatte ich schliesslich die Kante am weit ausladenden Dachvorsprung in der Hand und konnte den Karabiner im Umlenker einschnappen lassen. Wow! Das war mit Abstand die verrückteste Linie, die ich je geklettert bin. Glücklich schwebte ich am Seil hinunter und kam 15 Meter von Walter entfernt zu Boden.

Da ein Ausräumen ziemlich kompliziert war, meisterte Walter diesen Job im Nachstieg. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände, als er neben mir zu Boden schwebte. Überglücklich umarmten wir uns und genossen eine grosse Portion Schnupftabak! Das war wirklich ein perfekter Abschluss unserer Kletterwoche mit dem SAC Gotthard!

Gemütlich pilgerten wir zurück zum Bavella-Pass und genossen dort ein wohlverdientes Bier. Vielen Dank an Hans, Christoph, Walter, Benedikt und Gabi. Schade, dass ihr nach einer Woche die Rückreise antreten musstet. Es war eine so gemütliche und tolle Zeit mit euch.