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Gandschijen

Gandschijen
"Super Gwüest", 7 SL, 7a
"Börtlergrind", 6 SL, 7a

Der Gandschijen, Schauplatz unserer Jugendaktivitäten, hat uns wieder einmal in seine plattige, aber wunderschön strukturierte Südwand gelockt. Nach vielen Jahren der Abstinenz war es ein herrliches Gefühl, vom Gwüest hochzulaufen, vorbei am Börtli und dem markanten Spitzästei.

Das wunderbar gelegene Börtli, ein flacher Boden über dem Gwüest, war bis 1951 im Besitz unserer Grosseltern. Nach dem verheerenden Lawinenwinter 1951 verlor die Grossfamilie den letzten Mut und verkaufte den bescheidenen Landwirtschaftsbetrieb der neu gegründeten Kraftwerk Göschenen AG, die den geplanten Staudammbau vorantrieb und sämtliches Land der Umgebung erwarb.

Da unsere Wurzeln am Fuss des Gandschijens liegen, erstaunt es nicht, wenn wir als junge Kletterer immer wieder zu seiner verlockenden Südwand aufstiegen. Ein alter Göschenerälpler hat mir damals auch den Übernamen "Börtlergrind" verliehen, der Jahre später als treffender Name für eine unserer besten Erstbegehungen herhalten musste. In der Tat suchten wir am Gandschijen permanent nach Neuland und entdeckten mit "Stiärägrind", "Atlantis", "Titanic", "dem "Weg durch die Muschel" und eben dem "Börtlergrind" wunderbare Kletterlinien, die damals zu den schwersten Routen im Urnerland zählten.

Während dem Aufstieg wurden wir von einer munteren Ziegenherde begleitet, die sich am Einstieg als nerviges Pack entpuppte: Unsere Rucksäcke waren das Ziel ihrer Begierde und wurden keine Sekunde aus den Augen gelassen. Ich liebe Ziegen, aber diese Plagegeister waren wirklich extrem mühsam und auch mit geharnischten Flüchen nicht zu vertreiben. Als Kurt und Beat im Nachstieg den Wandfuss verliessen, dauerte es keine 10 Sekunden, bis die erste Ziege schon eifrig am erstbesten Rucksack knabberte. Zum Glück war noch eine italienische Seilschaft am Einstieg unten, die unsere bereits zerzausten Rucksäcke retteten und die Ziegen endlich vertreiben konnten.

Beim Aufstieg am frühen Morgen waren wir in dem taufrischen Gras so richtig durchnässt worden. Nebelfetzen strichen vom Tal hoch und der Fels war noch spürbar feucht und kalt - keine optimalen Bedingungen für die erste Seillänge der "Super Gwüest". Mit klopfendem Herzen wagte ich den Vorstoss in den ersten glatten Plattenpanzer und gelangte schliesslich hochkonzentriert zum ersten Standplatz, wo ich beim Nachsichern dem wilden Treiben der Ziegen wehrlos zusehe musste.

Die zweite Seillänge sah etwas freundlicher aus, forderte ab vom ersten Meter weg wieder Engagement und Konzentration. Langsam kam auch mein Motor in Schwung und die Kletterzüge wurden fliessender und präziser. In der dritten Seillänge war dies auch dringend nötig, fordert doch eine feiner Piazriss im Mittelteil subtiles Stehen und boulderlastiges Ziehen. Nach einer etwas einfacheren Sequenz, ging der Plattentanz in der fünften Seillänge munter weiter. Hier sind die ersten Meter sehr anspruchsvoll. Minimalste Strukturen weisen den Weg und fordern kompromissloses Stehen auf Reibung.

Der brutale Quergang in der Schlüsselseillänge der "Super Gwüest" am Gandschijen, Göscheneralp.

Etwas weiter oben fordert ein kleiner Überhang dann eher wieder Boulderzüge und Verrenkungen. Nun standen wir vor der "Headwall", die mit einem kniffligen Linksquergang erreicht wurde und in der Folge ein paar sehr anspruchsvolle Aufsteher verlangte. An dieser Stelle hatten die Sanierer der "Super Gwüest" die Originalroute verlassen und waren stinkfrech in die "Börtlergrind" gequert, die als eigenständige Route erstmals diese "Headwall" überwand. Was sich die damaligen Sanierer dabei gedacht haben, bleibt mit ein Rätsel.

Teilweise ist die Sanierung, ähnlich der "Niedermann" in der Grauen Wand, etwas stümperhaft ausgefallen. Etliche Bohrhaken können wegen fehlenden 20 cm nicht von einem guten Tritt gehängt werden, sondern müssen zuerst über einen wackligen Boulderzug erreicht werden. Oder es stecken im Abstand von einem Meter zwei Bohrhaken, denen ein Fünf-Meter-Runout folgt. Wie man aber die "Börtlergrind" in ihrer besten Seillänge tangiert hat, ist wirklich eine Schande.

Mit etwas Putzarbeit hätte man die Originallinie der "Super Gwüest" wunderbar aufwerten können. Wenn man aber mit dem Heli zum Gipfel fliegt und im Schnellzugstempo die Route von oben saniert, passieren solche Sachen, wie die erwähnten fehlplatzierten Borhhaken. An dieser Stelle sei Ruedi Bunschi als positives Gegenbeispiel erwähnt. Mit viel Liebe zum Detail und einer unbändigen Putzwut hat er Sanierungen am Gandschijen ausgeführt, die wirlich vorbildlich und lobenswert sind.

Zurück zum Klettern: Nach erfolgreichem Durchstieg der "Super Gwüest" seilten wir wieder über die Wand ab und öffneten beim fünften Stand die Gamelle mit dem nicht mehr existierenden Wandbuch. Als ich den Gamellendeckel genauer betrachtete, musste ich doch erst einmal schnunzeln: Am 24. Dez. 1987 hatten sich Kurt und ich dort anlässlich der ersten Winterbegehung der "Super Gwüest" mit einem Bleistift verewigt. Die Schrift war selbst nach 31 Jahren immer noch sehr gut lesbar und liess die Erinnerung an diesen herrlichen Tag wieder hochleben.

Zurück am Einstieg stärkten wir uns kurz und stiegen schon bald wieder in die Wand ein. Diesmal wurde der "Börtlergrind" in Angriff genommen. Diese Route hatten wir 1992 von der Basis her eröffnet und verwendeten dabei auch Cliffhangers für das Platzieren der Bohrhaken. Hatten wir anfänglich den sauberen Durchstieg der erwähnten "Headwall" für utopisch gehalten, waren wir vor Ort positiv überrascht, welch genialen Strukturen die Wand bereit hielt. Mit viel Mut und dem letzten Gummi der damaligen "Boreal-Finken" überwanden wir diese Schlüsselstelle.

Der Leser mag daher unseren Ärger verstehen, wenn nun durch eine etwas missglückte Sanierung der "Super Gwüest" diese fantastische Seillänge tangiert wurde. Die Kletterei im "Börtlergrind" ist nie anstrengend, verlangt aber eine ausgezeichnete Fusstechnik und ein gutes Auge für die möglichen Tritt-Optionen. Die anhaltenden Schwierigkeiten ermüden die Wadenmuskulatur und erfordern ständiges "Wachsein". In einem Blog konnte ich kürzlich lesen, dass es im "Börtlergrind" zwar viele "No-Hand-Rests" hat, aber nur ganz wenige "No-Feed-Rests"!

Bedingt durch die Steilheit kommt den Händen aber durchaus eine wichtige Funktion zu. Oft hilft eine schwache Rissspur oder ein schmales Leistchen weiter, wenn die Füsse bereits schon von den marginalen Dellen abzurutschen drohen. Obwohl man als Erstbegeher wohl als etwas befangen gilt, hat uns diese Art der Kletterei am persönlichen Limit bestens gefallen.

Weniger gefallen haben uns die teilweise stark von Korrosion betroffenen Schlaganker. Die Bohrhakenlaschen sind zwar rostfrei, aber die damals verwendeten Anker und Schrauben nur verzinkt. Aus diesem Grund werden wir in nächster Zeit die Route "Börtlergrind" umfassend sanieren und im gleichen Zug auch den Originalaustieg der "Super Gwüest" mit neuem Material versehen. Dann werden diese zwei Linien wieder auf ihren getrennten und ursprünglichen Linien zu klettern sein.

Vielen Dank an Kurt und Beat für den genialen Klettertag. Es hat Spass gemacht, auf unseren alten Spuren unterwegs zu sein. Die sehr lange Freundschaft mit euch ist unbezahlbar und der Gandschijen hat auch nach dreissig Jahren nichts von seiner Faszination verloren. Ich bin immer wieder sehr gerne mit euch beiden dort oben unterwegs!