Sandbalmfluh
Sandbalmfluh
"Lichtmeer" 6b, 6 SL
"Bijou" 6b, 6 SL
Wie gewohnt, nahm mein Bruder Kurt mit dem Beginn des Frühlings auch wieder seine Kletteraktivitäten auf. Zusammen mit seinem erwachsenen Sohn, der nun auch vom Kletterfieber gepackt wurde, hatte er bereits die eine oder andere Tour absolviert. Nun wollten wir wieder zusammen etwas unternehmen. Da wir am auserkorenen Tag beide tagsüber beruflich in Göschenen tätig waren, sollte ein gemütlicher Kletterabend an der Sandbalmfluh optimal passen.
Die Sitzung, an der ich teilnehmen musste, dauerte länger als erwartet und als der Treffpunkt mit meinem Bruder näher und näher rückte, war ich wie auf Nadeln. Zudem merkte ich in dem geschlossenen Sitzungszimmer, dass die Sonne schon längere Zeit verschwunden war und eine eher düstere Wetterstimmung herrschte. Als ich mit einer halbstündigen Verspätung meinen Bruder endlich aufladen konnte, hatte er bereits die Radar-Vorhersagen konsultiert. Um 20.30 Uhr sollte eine kleine Regenzelle über die Göscheneralp ziehen. Gas geben hies nun die Devise: Zuerst auf der Fahrt zur Voralpkurve, dann auf dem Zustieg zur Wand und schliesslich auch beim Anschieren.
Wir wählten die Route "Lichtmeer", eine unserer lohnendsten Erstbegehungen, aus der wir jederzeit abseilen konnten, falls das Nass von oben früher eintreffen sollte. Dank den Regengüssen der Vorwoche war der Einstieg praktisch sauber. Rasch erreichte ich den ersten Stand und sicherte meinen Bruder nach. Wir beschlossen, dieses Kletterregime beizubehalten, und gewannen stetig an Höhe. Die erste Knacknuss wartete gleich zu Beginn der dritten Länge. Hier ist direkt beim ersten Haken eine steile und grifflose Platte adhesionstechnisch zu erklettern. Der Rest bietet herrliche Dellen und Warzen und bei den Bohrhaken kann man praktisch immer problemlos stehen und das Seil einklinken.
Im gleichen Stil verlaufen auch die restlichen drei Seillängen. Zwischen den soliden, rostfreien Bohrhaken muss man immer wieder engagiert vorwärts steigen, daher entspricht der obligatorische Grad auch der Rotpunktbewertung von 6b. Schon bald erreichten wir den Muniring am Ende der "Bijou", wo diese zwei Routen zusammen treffen. Über den Plattenschuss lässt es sich sehr effizient abseilen und schon bald standen wir am ersten Stand der "Bijou", die wir als nächstes Ziel erkoren hatten. Die Startlänge schenkten wir uns, da es erst ab der zweiten Länge so richtig lohnend wird.
Ab hier übernahm mein Bruder das Zepter und stieg mühelos die ersten Meter der zweiten Länge vor. Als er beim vierten Bohrhaken angekommen war, traf auch gleichzeitig der befürchtete Regen am selben Ort ein. Die kurze und heftige Dusche war zwar schnell vorüber, aber der Fels war nun glitschig wie die Sau. Er opferte einen alten Schraubkarabiner und wurde von mir zum Stand abgelassen. Wir wollten schon die Seile für die nächste und letzte Abseilstrecke einfädeln, als eine markante, blaue "Störung" über den Salbitschijen daherzog.
Wir warteten noch fünf Minuten bis zum endgültigen Entscheid. Es blieb von oben trocken und vielversprechend blau. So machte ich mich nun auf den Weg zum zweiten Stand, musste aber wegen der immer noch leicht feuchten Flechten höchst konzentriert ans Werk gehen. Besonders auf den letzten Metern zum Stand hoch, bei denen man oft auf Quarzeinschlüsse stehen muss, war das Verhalten der Gummisohlen sehr schwer einzuschätzen. Mit etwas Herzklopfen klinkte ich die Selbstsicherung in den Muniring und liess meinen Bruder nachfolgen. Just als er den Stand erreichte, kam die zweite Welle Regen. Nun war der Rückzug definitiv besiegelt. Leicht durchnässt erreichten wir den Wandfuss und unser Gefährt in der Voralpkurve. Bei der Fahrt durchs Göscheneralptal hinaus liefen die Scheibenwischer schliesslich kurz auf der höchsten Frequenzstufe. Glück gehabt! Vielen Dank, Bruderherz, für den gelungenen und erlebnisreichen Kletterabend. Schön, hat es wieder mal geklappt.