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Voie des Invalides

Horefellifluh
«Indian Summer» 6b, 5 SL
«Voie des Invalides» 6c, 6 SL
Wieder einmal wandelten wir auf unseren eigenen Spuren und verbrachten einen genussreichen Klettertag an der kleinen Horefellifluh im Voralptal. Mit von der Partie war diesmal auch mein Neffe Fabian, der Sohn von Kurt. Gemütlich wanderten wir bei strahlendem Wetter durch das angenehm kühle Voralptal. Bei der Alp Horefelli füllten wir unsere Trinkflaschen und suchten anschliessend einen gangbaren Weg zum Einstieg hoch. Im letzten Sommer hatten hier gewaltige Rüfen ein Schlachtfeld hinterlassen. Bis zu drei Meter tiefe Rinnen spülten die vom Salbitschijen herabstürzenden Wassermassen aus der mit Erlen durchwachsenen Alpenweide heraus. Das ganze heraus geschwemmte Material wurde im flachen Alpenboden unten abgelagert und sorgte für eine furchtbare Verwüstung. Dieser Anblick tat weh, war diese ebene und saftgrüne Weide doch stets ein erfreulicher Abschnitt auf dem langen Weg zur Voralphütte gewesen. Die Natur ist unerbittlich und gnadenlos. Mit den Jahren wird sich diese brutale Narbe in der Landschaft aber wieder regenerieren und neues Leben zum Vorschein bringen.

Durch eine ebenfalls ausgespülte Nebenrinne links der Haupt-Rüfe konnten wir erstaunlich effizient den anvisierten Wandfuss der kleinen Horefellifluh erreichen. In welchem Zustand der nur noch selten benutzte Weiterweg zum Salbitbiwak ist, lässt sich nur erahnen. Persönlich wäre ich aber nicht mehr unbedingt erpicht, das Biwak auf diesem Pfad zu besuchen. Seit dem Bau der Hängebrücke besteht ja nun eine wesentlich angenehmere und sichere Zustiegs-Variante zum Salbit-Westgrat und den grossartigen Routen an seinen Türmen.

Im Einstiegsbereich unserer Wand zeigte sich der Alpenfrühling von seiner schönsten Seite. Im saftigen Grün blühten wilde Orchideen und andere, farbenfrohe Blumen. Beseelt von grosser Vorfreude seilten wir uns an und bestimmten dabei auch die Seilschafts-Hierarchie. Mein Bruder Kurt übernahm das scharfe Ende des Seils, Fabian und ich sollten ihm an je einem Strang der Zwillingsseile folgen. Der Fels war wunderbar trocken und seit wenigen Minuten auch von der wärmenden Sonne bestrichen – ein perfekter Auftakt.

Die Route «Indian Summer» begeistert mich immer wieder auf Neue. Die braunen Farbtöne des festen Granits, die in angenehmer Vielfalt vorhandenen Griffe und die zauberhafte Umgebung waren reinstes Seelenfutter. Kurt genoss seine Vorsteigerrolle und kletterte zügig durch die etwas schwierigeren Einzelpassagen der Linie. In der dritten Seillänge war der erste Test für die Haftung der Klettersohlen auf einer kurzen Reibungsplatte traktandiert. Danach folgte wieder vielseitige Kletterei an griffigen Strukturen. Für Fabian war das Klettern in einer Dreierseilschaft ein Novum. Allem Anschein nach, genoss er diesen Ausflug mit seinem Vater und seinem Onkel. Vor mehr als zwanzig Jahren begleitete uns der damals sechsjährige Bursche beim Einbohren zahlreicher Klettergartenrouten im Kessel von Chli Sustli am Sustenpass. Danach jagte er viele Jahre dem runden Leder nach und trug statt Kletterfinken lieber Stollenschuhe. Seit ein paar Jahren ist das Klettervirus nun wieder erwacht – eine beruhigende Entwicklung. So können wir mit zunehmendem Alter hoffentlich auf einen starken Vorsteiger zurückgreifen.

Viel zu schnell war der Ausstieg erreicht. Eine problemlose Abseilfahrt später, standen wir wieder am Wandfuss und verzehrten unser Lunchpaket. Es blieb noch genügend Zeit für eine weitere Route, die durchaus auch etwas fordernder sein durfte. Die Wahl fiel auf «Voie des Invalides», die mit ein paar kniffligen, obligatorisch zu meisternden Kletterstellen perfekt in unser Beuteschema passte. Diesmal durfte ich mich in beide Seile einbinden und den Lead übernehmen. Bereits beim 2. Bohrhaken entfuhr mir ein erleichtertes «Uff», als ich auf dem letzten Drücker die glatte Passage überwunden hatte. Ruedi Bunschi war hier bei der Erstbegehung zweimal ins Seil gerutscht, deponierte danach die Bohrmaschine am Haken und kletterte die Stelle ohne störenden Ballast erstmals frei. Dank einem eher zweifelhaften Camelot-Placement weiter oben konnte er die verwaiste Maschine wieder schultern und den nächsten Bolt setzen. Kurz vor dem Stand wartet die zweite herzschlagsteigernde Stelle: ein weiter Zug zu einer guten Leiste, auf der anschliessend aufgestanden werden muss.

Auch die zweite Seillänge verlangte vollen Einsatz von uns drei. Der ungewohnte Rechtsquergang an kleinsten Untergriffen erfordert etwas Mut, sicheres Hinstehen und ein optimales Treffen des versteckten Rettungs-Seitengriff. Kaum zu glauben, dass Ruedi an diesem Griff hängend, den nächsten Bohrhaken aus der Kletterstellung setzte. Im letzten Abschnitt dieser Länge entschärft ein 0.4 oder 0.5 Cam den etwas weiten Freiraum bis zum Stand. Dank der griffigen Schuppe geht es aber auch ohne diese mobilen Hilfsmittel.

In der dritten Länge freute ich mich diebisch, wie optimal sich alles in diesem fantastischen Wandabschnitt auflöste. Immer wieder half eine versteckte Schuppe, eine kleine Unebenheit oder eine Querleiste beim Vorwärtskommen. Solche Längen sollte man im Dutzend aneinanderreihen können. Die anspruchsvollere Hälfte der Route war nun geschafft. Fabian schlug sich wacker, beklagte aber seine wunden Zehen. Zum Glück wurde die Kletterei nun griffiger und gutmütiger, allerdings verlangten die zahlreichen Schuppen auch etwas Umsicht. Ein wildes Rupfen und Zerren an diesen teilweise fragilen Strukturen ist zu vermeiden.

In diesem Abschnitt lässt sich auch wieder einiges an mobilen Zwischensicherungen legen, besonders kleinere Cams (0.4 / 0.5) passen in die vorhandenen Schlitze und Risse. In einem Rechtsbogen gelangt man auf eine schräge Rampe, wo gut sichtbare Hakenlaschen den Weiterweg markieren. Eine kurze Schlusslänge brachte uns zum letzten Stand der «Indian Summer» und damit zum Beginn der zweiten Abseilfahrt. Eine Stunde später genossen wir im Brunnen der Alp Horefelli eine wohltuende «Kneippkur» und verschafften den lädierten Zehen die verdiente Linderung. Herzlichen Dank an Kurt und Fabian für den intensiven und reich erfüllten Klettertag im Voralptal.