Amarone
Sewenstock
"Amarone" 6a+, 10 SL
Eine Tour, die ich schon lange auf dem Radar hatte. Endlich passten der Tag und der Kletterpartner, um diese vielgerühmte Linie in der Sewenstock Südwand zu klettern. Dass am Sewenstock und seinen Nachbarbergen kletterfreundlicher Gneis vorhanden ist, bemerkten bereits 1938 die Brüder Alfred und Otto Amstad mit ihrem Freund Guido Masetto. Sie stiegen über den logischen SE-Pfeiler zum Gipfel und meisterten dabei Schwierigkeiten bis zum V. Grad. Im Jahr 1960 durchstiegen dann Kurt Grüter und Franz Anderrüthi die Südwand in teils technischer Kletterei (VI-, A1-A2). Diese kühne Route bekam zur Jahrtausendwende mit der "Näbderrüthi" (6c) ein "Gspändli", welche im oberen Teil in den SE-Grat mündet (Beat Krummenacher, Ueli Wiss und Stefan Suhner, 2000). Die jüngste Kreation in dieser Wand ist nun die "Amarone", welche die Handschrift von Heinz Müller und Röbi Ruckstuhl trägt. Mit einer humanen Absicherung und dem milden Schwierigkeitsgrad von 6a+ avancierte die neue Linie bald zum häufig wiederholten Klassiker.
In erster Linie ist es aber der fantastische Fels, der für die grosse Beliebtheit der "Amarone" sorgt. Diese durften wir anlässlich unserer genussvollen Begehung nun selber feststellen. Wir starteten an der Sustenstrasse bei Gorezmettlen und nutzten den kühlen Morgen für unseren Aufstieg zur Sewenhütte. Ein stärkendes Kaffee und die herzliche Begrüssung von Hüttenwart Walti und Kursleiter Jürgen - zwei alte Bekannte - sorgten für gute Stimmung. Bald schon zogen wir weiter und fädelten in den Weg zur alten Sewenhütte ein, deren Grundmauern an das verheerende Lawinenunglück erinnern, welche die Hütte kurz nach der Erstellung hinwegfegte. Über ein gut tragendes Schneefeld erreichten wir eine Viertelstunde später den Einstieg der "Amarone", der mit einer Metalltafel markiert ist. Die ersten Länge war nach den Gewittergüssen des Vorabends noch stellenweise nass. Damit hatten wir aber gerechnet. Mit den Bergschuhen an den Füssen spurten wir die wenigen Meter über das Schneefeld, seilten uns dann aber im trockenen Geröllfeld an, um dann mit den Finken in den vorgefertigten Fussstapfen an die Wand zu queren. Es ging gleich spannend los!
Schon auf den ersten Metern überzeugte die Festigkeit der Gneisstrukturen. Die meisten Griffe sind positiv geschichtet und ausreichend vorhanden. Fast auf der ganzen Länge war jedoch die Feuchtigkeit, die aus den Überhängen drückte, zu spüren. Wer hier wirklich furztrockene Verhältnisse antreffen will, sollte erst nach einem oder sogar zwei Schönwettertagen einsteigen. Dank der guten Absicherung und den vielen Leisten lässt sich das Ganze aber auch bei Nässe relativ komfortabel klettern. Der Quergang gleich zu Beginn der zweiten Länge war ebenfalls etwas feucht. Zum Glück blieben die hier zu bedienenden Reibungstritte aber vom Nass verschont. Mit jedem weiteren Meter besserte sich die Situation, wie wir erfreut feststellen konnten.
Für Begeisterung sorgte die dritte Länge: Über fantastische Strukturen mit Löchern, Dellen und Warzen klettert man fast fünfzig extrem genussvolle Meter höher. Unter diesen perfekten Bedingungen wäre ich gerne noch viel weiter gestiegen!
Der folgende Überhang, der links umgangen wird, sah von unten wenig verlockend aus, da hier wiederum etwas Nässe aus dem Gneis drückte. Vor Ort entpuppte sich das Teil aber deutlich einfacher als befürchtet. Nun waren wir in Wandmitte angelangt und mussten uns kurz neu orientieren. Die glänzende Standplatte rund vierzig Meter über unseren Köpfen gehörte zur Abseilpiste. Die Kletterlinie zog eher rechts weg und endete auf einem gemütlichen Grasband. Die optimal platzierten Haken weisen eigentlich stets zuverlässig den Weg. Vom Grasband weg wurde es nun wieder deutlich steiler.
In der nächsten Teiletappe erreichte ich mit dem letzten Stumpen Seil den unvermittelt auftauchenden Stand. Wer hier mit älteren, schon etwas geschrumpften Seilen unterwegs ist, muss eventuell seinen Sicherungspartner nachsteigen lassen. Mit einer kurzen Überführungslänge über ein grosses Grasband gelangten wir unter die steile Schlusswand. Eine scharfe Piazschuppe weist unmissverständlich den Weg. Kurz danach folgt bei einer abdrängenden Wandstelle die Crux der ganzen Route. Der Fels ändert nun zunehmend seine Farbe und wird leicht flechtig. Ein paar lose Steine erfordern noch eine gewisse Vorsicht. Dann öffnet sich am Grat oben schlagartig der Blick gegen Westen. Hier war Endstation für uns. Den gemässigten Schlussgrat zum Gipfel schenkten wir uns, da man über diesen wieder zurücksteigen muss. Stattdessen begannen wir mit der teils luftigen Abseilfahrt, die über zwei routenunabhängige Standplatten sehr direkt nach unten führte. Nach rund 3:45 Stunden standen wir wieder auf dem Einstiegsschneefeld und dislozierten für eine längere Pause zu den grünen Wiesen von Sewenstöss. Hier sprudelte ein munterer Bach, der unseren Zehen die ersehnte Linderung verschaffte.
Die Route "Amarone" am Sewenstock ist wirklich eine sehr empfehlenswerte Kreation, die uns viel Freude bereitet hat. Herzliche Gratulation und besten Dank an Heinz Müller und Röbi Ruckstuhl für diese Kletterperle im Meiental. Hier kann das Topo [887 KB]
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Ein Dankeschön geht auch an meinen Bruder für diesen gut gefüllten Wander- und Klettertag. Es hat mächtig Spass gemacht!