Avegno Scaladri
Avegno Scaladri
„Stadera“, 6c, 12 SL
„Taroc», 6b+, 9 SL
Der Scaladri, eine stark gegliederte, fast schwarz gefärbt Wandflucht über dem Dorf Avegno, war vor knapp 40 Jahren der Spielplatz der damaligen Tessiner Plattenspezialisten. Mit der «Fantasia», eröffnet 1981, fiel der Startschuss zu einer gross angelegten Erschliessungswelle mit über 15 Mehrseillängenrouten.
Der Eifer der Protagonisten überbordete leider so stark, dass im zentralen Wandbereich ein unübersichtliches Routengeflecht entstand. Gewisse Touren starten erst in halber Wandhöhe, wie «Acquario» und «Acquaplaning», andere queren die halbe Wand und eine Route beginnt ganz weit oben beim Abstiegsband. Die von der Linienführung her bestechende «Taroc» wird im oberen Teil von «Stadera» und «Acquario» mehrmals tangiert. Kurzum: Ein gutes Topo leistet mitten in der Wand sehr gute Dienste! Immer wieder wurden auch Routen saniert und neuerdings ist sogar eine Putzaktion im Bereich der «Taroc» und «Stadera» erfolgt.
Mit Stine wollte ich vor dem befürchteten Oster-Andrang nochmals gemütlich in diesem Sektor klettern. Wir wählten einen Werktag für unsern Ausflug in den Süden und durften den ganzen Tag das Massiv alleine geniessen. Vom Parkplatz nördlich des Grotto «Mai Moriera» kann man auf gut erkennbarem Pfad direkt in den Wald laufen und steht nach wenigen Minuten am beschrifteten Einstieg der «Taroc». Dieser folgten wir während zwei gemütlichen Plattenlängen bis zum Kettenstand an einem Baum.
Dieses Band, wo auch das Erinnerungskreuz an die 2005 tödlich verunglückte Andrea steht, ist der Ausgangspunkt für die «Stadera», die unser eigentliches Ziel war. Überall waren Spuren einer Putz- und Ausholzaktion zu erkennen, was Zweifel an der Begehbarkeit der Route aufkommen liess. Einen Versuch wollte ich trotzdem wagen. Zwar musste ich zu Beginn noch einige Griffe und Tritte vom Staub freiblasen, war aber positive überrascht von der wirksamen Putzerei. Zudem steckten viele neue Silberlinge im dunklen Gestein, was ein entspanntes Vorsteigen in dieser nominellen Schlüssellänge erlaubte. Der abschliessende und kraftraubende Überhang kurz vor dem Stand war aber immer noch genau gleich schwer wie bei meiner letzten Begehung vor 10 Jahren.
Die zweite Länge, die ich ebenfalls noch in guter Erinnerung hatte, ist nun deutlich besser abgesichert und wurde ebenfalls gereinigt. Dank unterschiedlichen Farbmarkierungen erkennt man auch sehr gut, wo die «Taroc» verläuft. Der zweite Aufschwung in der 4. Seillänge ist ebenfalls ein heftiges Boulder-Problem, danach folgt wieder gut strukturierte Plattenkletterei. Anders als im Topo aus dem SAC-Führer «Ticino e Moesano» gezeichnet, zweigt «Stadera» gemäss den farbigen Pfeilen von den gemeinsamen Ständen mit «Taroc» immer rechtshaltend ab. Dies gilt auch für die letzte Länge, die für eine 5a noch ordentlich fordert. In der zweitletzten Länge wurde ich zweimal abgeworfen, weil der feine Staub der Putzaktion die Adhäsion auf den sonst schon glatten Platten nicht sonderlich verbesserte. Dank der auch hier grosszügig installierten Absicherung blieb es bei harmlosen Stürzen.
Um die Mittagszeit erreichten wir das Ausstiegsband, legten uns kurz an die Sonne und freuten uns über die absolvierten Klettermeter. «Stadera» ist in meinen Augen eine sehr lohnende Route und gefällt mir deutlich besser als die «Alhambra» am Monte Garzo». Dank der Sanierung und Reinigung bietet sie nun noch viel mehr Genuss. Wir standen nach störungsfreier Abseilfahrt über die Route bald wieder beim Erinnerungskreuz und banden uns erneut in die Seile. Der Rucksack mit Esswaren und Tranksame lag zwei Seillängen tiefer am Wandfuss. Mit leicht knurrendem Magen und trockener Kehle stieg Stine in die «Taroc» ein und meisterte problemlos den kleinen Aufschwung unter dem 3. Stand. In der vierten Länge traute ich meinen Augen kaum: Da steckten die neuen Bohrhaken im Überfluss.
Obwohl ich die Arbeit von Sanierungen stets sehr schätze und aus eigener Erfahrung weiss, was dahintersteckt: Hier wurde einfach masslos übertrieben! Diese traumhafte Länge, die früher zwar etwas Engagement verlangte, aber nie und nimmer gefährlich war, wurde nun komplett übernagelt. Zudem wurden viele Schlaganker schief gebohrt, was an den schräg abstehenden Muttern unschwer zu erkennen war. Was soll man dazu sagen? Auch weiter oben zeigte sich das gleiche Bild. Irgendwann wurde der leere Magen zur Belastung und wir seilten unverzüglich zurück zum Wandfuss, wo der «Wolfshunger» endlich gestillt werden konnte. «Taroc» ist ebenfalls eine sehr lohnende, und mittlerweile total übersicherte Route, die viele schöne Kletterzüge bietet. Vielen Dank an Stine für die genussvollen Kletterstunden und die unterhaltsame Zeit. Auf ein nächstes Mal!