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Glatten

Glatten
«Chryz und Quer» 6b, 8 SL
«Südpfeiler» 6b, 6 SL
Wieder einmal unterwegs mit meinem Bruder Kurt. Frohgelaunt fahren wir zum Klausenpass hoch und bestaunen die dicken Wolken, die schnell über die schroffe Gebirgskette gegen Osten abziehen. Auf dem Regenradar ist klar die Störung erkennbar, die im Norden der Schweiz für nasse Verhältnisse sorgt. Im Schächental sollte es gemäss der Prognose bis in den späten Nachmittag aber trocken bleiben.Beim Parkplatz der Alp Bödmern empfängt uns ein giftiger Ostwind, dem starke Böen eingelagert sind. Das passt jetzt aber gar nicht zur aktuell herrschenden Südwestwindlage. Wir rätseln, ob dieser «unbarmherzige Geselle» wohl das Resultat der soeben verschwundenen Gewitterzelle ist, die vielleicht über dem Urnerboden heftig ausgeregnet hat. Die damit einhergehenden Kaltluftstürze sorgten wohl für diese ungewohnten Windscherungen und Luftwirbel. Nach gut 5 Minuten Aufstieg ist der ganze Spuk vorbei und Wind ist an diesem Tag nur noch ein Thema bei den sporadisch abgehenden Flatulenzen.

Wir sind ganz alleine unterwegs und geniessen den gemütlichen Aufstieg durch die erwachende Alpenflora. Voll motiviert steuern wir den Wandfuss unter dem markanten Südpfeiler an. Hier starten ein paar sehr lohnende Routen in gemässigtem Schwierigkeitsbereich. Die Wahl fällt schliesslich auf «Chryz und Quer», die unmittelbar rechts von «Südpfeiler» startet und sehr lohnende Klettermeter verspricht. Der Start ist eher durchzogen und verlangt wegen dem lockeren Gelände und dem hochsteckenden, ersten Bohrhaken einen wachen Geist. Sobald das Gelände steiler wird, bessern sich Felsqualität und Absicherung markant. Ein paar kleingriffige Kletterzüge später kann ich mich am massiven Standplatz festbinden und meinen Bruder beim Nachstieg beobachten. Über uns wölbt sich die dunkle (nasse?) Verschneidung in den blauen Himmel und hinterlässt beim ersten Anblick ziemlich Eindruck.

Ich lasse den Stand zu Beginn der Verschneidung aus und winde mich weiter hoch durch den düsteren, leicht überhängenden Felswinkel. Zum Glück ist alles trocken. Tatsächlich ist es ein Mix aus Winden, Stemmen, Spreizen und zuletzt auch Festkrallen an extrem griffigen Leisten, die nach rechts zum bequemen Stand leiten. Kurt kämpft sich tapfer durch den Verschneidungsriss hoch und wirft seine jahrzehnte lange Klettererfahrung in die Waagschale. «Nun haben wir das Gröbste hinter uns! Der Rest ist eher technisch geprägte, weniger kraftraubende Leistenkletterei» ermuntere ich ihn, als er schnaufend den Sicherungsplatz erreicht. In der Tat ist die folgende Länge eher gemütlich und quert rechthaltend bis zur Kante hinaus. Mehr Konzentration verlangt die vierte Sequenz, bei der eher seitlich geschichtete Griffe über den steilsten Teil der gelben Wandpartie helfen. Weiter oben erreicht man mit einem kurzen Quergang nach links den etwas versteckten Stand in einer Nische.

Wasserzerfressener Kalk erster Güte dominiert die fünfte Länge. Die in gemütlichen Abständen steckenden Bohrhaken führen mich zum gemeinsamen Stand mit «Südpfeiler» am Beginn einer Rissverschneidung. Gut 10 Meter verlaufen nun beide Routen durch diesen Riss. Nach einem athletischen Aufschwung führt unsere Linie rechts hinaus in eine perfekt modellierte Plattenwand. Fette Leisten und perfekte Tritte sorgen für ein genussvolles Höhersteigen. In der letzten Länge verlangt ein kurzer Steilaufschwung noch mal eine Dosis Krafteinsatz, der Rest ist gemütliche Kraxelei bis auf das Gipfelplateau, wo der Stand etwas zurückversetzt an einem Felsblock zu finden ist. Wir gratulieren uns zur gelungenen Begehung und queren die wenigen Meter zum Beginn der Abseilpiste über den «Südpfeiler».

In der zweiten Etappe dieser Abseilfahrt gleiten wir an einer Seilschaft vorbei, die soeben durch den «Südpfeiler» hochklettert. Beim Näherkommen erkenne ich Markus, mit dem ich 2019 eine Woche in Leonidio in griechischen Felsen verbrachte. Das Wiedersehen freut mich und wir tauschen kurz ein paar Worte übers Klettern aus. Weiter unten – am Ende des Seils – rette ich mich als Hasardeur zum nächsten Stand, indem ich eine kurze Strecke ungesichert bis auf das grosse Band abklettern muss. Der nachfolgende Kurt muss das gleiche Prozedere ausführen und gleichzeitig noch den richtigen Seilstrang mitführen. Das nächste Mal nehmen wir sicher wieder den ordentlichen Stand, der durch die andere Seilschaft besetzt war. Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir den sicheren Boden.

Nach kurzer Verpflegung und Konsultation des Regenradars steigen wir in «Südpfeiler» ein und geniessen auf den ersten Metern die gemütlich gestufte Kletterei. Die Ringbohrhaken stecken in sportlichen Abständen, sind aber gut zu sichten. Hier liesse sich auch noch mobil zusätzliches Sicherungsmaterial anbringen. In der zweiten Länge stecken die Haken dann eine Spur enger, dafür ist die Kletterei auch bereits etwas anspruchsvoller als zu Beginn. So richtig schön wird die Kletterei ab dem grossen Band. In einer grossen Rechtsschlaufe folgt man dem einfachsten Weg und den Ringbohrhaken. Wir hegen Bewunderung für die damaligen Erstbegeher Wisi Herger und Beat Gehrig, die einen gangbaren Weg durch dieses Gemäuer gefunden haben.

In der vierten Länge kreuzen wir wieder die Seilschaft von Markus und seinem Kollegen, die nun an ihren Seilen durch die Luft hinabgleiten. Da der Himmel zunehmend von dunkleren Wolken beschlagnahmt wird, seilen wir ebenfalls ab und benutzen diesmal alle ordentlichen Umlenkstationen. Wir folgen Markus und seinem Begleiter, die den Rest über «Chilbitanz» abseilen. Mit dieser Variante kann man ab dem grossen Band mit 50 Metern direkt zum Wandfuss gelangen. Als ich den Boden erreiche, entdecke ich auf den hellgrauen Steinen frische Blutspuren. Wenig später wissen wir, woher diese Spritzer stammen: Der Kollege von Markus – bereits am vermeintlich sicheren Wandfuss stehend – wurde von einem Stein mitten ins Gesicht getroffen. Eine klaffende Platzwunde an der Oberlippe und ein zerbrochener Zahn sind das Resultat dieser schmerzhaften Begegnung

Nach kurzer Diskussion entscheiden sich die beiden für den Fussabstieg und entschwinden rasch über das kleine Weglein Richtung Alp Bödmern. Eine spätere, telefonische Nachfrage bei Markus ergibt schliesslich, dass sie ohne weitere Probleme bis zu ihrem Auto gelangt waren und ärztliche Hilfe in Schwyz in Anspruch nehmen konnten. Gute Besserung an dieser Stelle dem Unglückspilz. Etwas betrübt von diesem Zwischenfall machen auch wir uns auf den Abstieg und geniessen auf der gemütlichen Bank bei der Alp Bödmern ein nahrhaftes Zabig, welches von einem kurzen Regenschauer aber rasch beendet wird. Beim Bier im Restaurant Klausenpass verwöhnt uns bereits wieder die Sonne. Besten Dank an Kurt für den genussvollen Klettertag im steilen Schächentaler Kalk.