Impressum Sitemap

Mastermind

Horefellifluh
"Mastermind", 6b+, 7 SL
"Projekt", 6a, 3 SL

Im Frühling ist die Auswahl an lohnenden MSL-Routen - bedingt durch den Schnee in höheren Lagen - meistens etwas eingeschränkt. Ins Tessin wollten wir angesichts der Verkehrssituation lieber nicht ausweichen. So fiel unsere Wahl auf die sonnige Horefellifluh im Voralptal. Der Start am Morgen sorgte gleich für eine unangenehme Überraschung. Ich wollte die Bergschuhe im Kofferraum verstauen, hatte aber den Autoschlüssel nicht zur Hand. So deponierte ich die Schuhe direkt hinter dem Heck und bereitete mein Frühstück vor. Beim Zähneputzen blickte ich aus dem Fenster und stellte erschreckt fest, dass es regnete. Mein Spurt ins Freie war vergebliche Mühe: In den Bergschuhen staute sich bereits das Wasser. Eine Stunde später marschierte ich deshalb mit leichten Trekkingschuhen der Alp Horefelli entgegen. Mein Bruder Kurt und ich hatten uns auf dem Weg ins Tal viel zu erzählen. Trotz angeregter Diskussion bemerkten wir den stattlichen Gemsbock, der uns wenige Meter oberhalb vom Pfad interessiert beobachtete. Ohne Scheu verharrte das Tier minutenlang auf dem gleichen Stein und liess uns keinen Moment aus den Augen.

Der Zustieg zur Alp Horefelli und weiter zur Fluh hoch war praktisch schneefrei. Am Wandfuss selber lag noch ein kleines Schneefeld im Einstiegsbereich, was den Umstieg auf die Kletterfinken zwar etwas erschwerte, aber sonst problemlos zu bewältigen war. Direkt über dem ersten breiten Sims wäre ein zusätzlicher Borhaken hoch willkommen, damit man dort hängend den obligaten Schuhwechsel praktizieren und anschliessend den Vorsteiger sichern könnte. Das ist aber Jammern auf höchstem Niveau: Die restliche Absicherung der sanierten Route ist sonst optimal platziert. Kurt übernahm den Lead und stieg vollmotiviert zur ersten Schlüsselstelle hoch, die gleich beim ersten Bohrhaken einen heiklen Aufsteher über ein kleines Dachlein verlangt. Souverän kletterte mein Bruder auch die restlichen, ab und zu sehr feinen Passagen bis zum soliden Kettenstand. Meinerseits hing ich nach gelungenem Start kurz unter dem dritten Borhaken bereits im Seil. Was angesichts der kompakten Felsen fast nicht zu glauben ist, passierte völlig unerwartet und rasch: Eine kleine Leiste, die mir als vermeintlich idealer Tritt diente, brach unter meinem Gewicht aus. Der mehr als faustgrosse Stein, dessen leicht vorstehende Oberkante sich als minime Trittmöglichkeit anerbot, liegt nun neben seinen Tausenden Mitbrüdern unten in der Steingand.

In der zweiten Seillänge ist der Start ebenfalls reibungslastig, dann nehmen die Schwierigkeiten bis zum Stand hin etwas ab und erlauben ein entspanntes Hochsteigen. Je nach angewandtem Kletterstil, kann die Startverschneidung der dritten Länge als etwas unangenehm empfunden werden. Hier lauern auch ein paar lose Griffe auf unvorsichtige Aspiranten. Die eigentlichen Schwierigkeiten folgen aber in der zweiten Hälfte dieser Etappe: Ein links ansteigender Plattenquergang erheischt Konzentration und sorgfältiges Hinstehen. Die letzten 10 Meter zum Stand hoch sind wieder gemütlicher zu klettern.

Die nach links geneigte Verschneidung der vierten Sequenz war im im Verschneidungsgrund auf weite Strecken noch nass. Dank den vielen Trittmöglichkeiten in der linken Begrenzungswand liess sich dieses Problem aber gut bewältigen. Der obere Teil von diesem markanten Felswinkel steilt sich kurz vor dem Stand etwas auf. In diesem Bereich werden die durch Schuppen gebildeten Risse zudem deutich enger und bieten nur noch für die Fingerbeeren genügend Platz. Die Passage ist aber eng gesichert und mit präziser Fusstechnik gut lösbar.

Am Stand genossen wir den wohlverdienten Schnupf, bevor Kurt in die spannend ausschauende Plattenwand startete. Bis zum 5. Bohrhaken dieser Länge kannte ich die Route von einer früheren Begehung, der Rest war für uns beide neues Terrain. In einer grossen S-Schlaufe verschwand Kurt um eine Kante und blieb danach lange Zeit verborgen. Der Seilvorrat zwischen meinen Beinen schwand zu ein paar wenigen Kringeln. Da ertönte der erlösende Pfiff und das Zeichen für den Nachstieg. Diese Länge ist aus meiner Optik der beste und interessanteste Teilabschnitt der ganzen Route. Kleine Leisten und Hangelschuppen erlauben immer wieder ein Höhersteigen. Nach der Kante folgen einfachere Klettermeter, die mit einem 1er-Camalot noch zusätzlich entschärft werden können.

Nun erblickten wir den grossen Überhang, der bereits von der Alp gut sichtbar ist, erstmals von Nahe. Die sechste Länge umgeht diesen gewaltigen Vorsprung mit einer kniffligen Wandkletterei an schräg gestellten Griffen. Der Fels ist in diesem Bereich wie poliert und gibt den Zehennerven absolut keine Rückmeldung, wie stabil der Fuss gesetzt ist. Der abschliessende Quergang rechts rüber zum Stand ist nur mit weit gespreizten Flügeln machbar, derweil die Sohlen auf den polierten Fels gedrückt werden müssen. Diese Stelle ist, unserer Meinung nach und entgegen dem Topo [513 KB] , die Schlüsselstelle der ganzen Route. Die Erstbegeher folgten damals dem breiten Riss, welcher den Überhang rechts begrenzt. Das Sanierungsteam Sylvia Kempf und André Arnold fand mit ihrer leicht angepassten Linie aber eine ebenbürtige Lösung.

Die siebte und letzte Länge zieht zu Beginn rund 10 Meter vertikal hoch, quert dann markant links rüber und folgt einer schönen Rissverschneidung bis zum Ausstieg. Der Fels ist in diesem Bereich nicht mehr von der gleich guten Qualität wie in den ersten vier Startlängen. Das leise Knirschen unter den Schuhsohlen sollte mit zunehmenden Begehungen aber wohl entsprechend abnehmen. Diesen leicht bröseligen Belag kennen wir auch von der Ausstiegslänge der benachbarten "Indian Summer" und der neuen Route "Knecht Klemenz". Im "Gipfelbuch" waren rund 10 Begehungen eingetragen, die sich praktisch alle lobend über die sanierte Route äusserten. Wir schlossen uns diesem Konsens an und seilten via dem routenunabhängigen Abseilstand in direkter Linie über den grossen Überhang ab. Die restlichen Stände der Abseilstrecke sind die zuvor genutzten Ketten der Route "Mastermind".

In den ersten Seillängen von "Mastermind" entdeckten wir rechts von uns eine Serie neuer Bohrhaken. Scheinbar war da eine frische Route eingebohrt worden. Am Wandfuss unten seilten wir uns deshalb sofort wieder an und folgten diesen Silberlingen der Marke "Raumer". Die Kletterei war auf den ersten zwei Längen ähnlich lohnend, aber mit 6a eine Spur gemütlicher als in "Mastermind". In der dritten Länge nahm die Qualität der Kletterei leider etwas ab. Der Fels wurde zunehmend bröselig und flechtig, ab und zu war auch etwas Vegetation unmittelbar vor der Nase erkennbar. Als wir in der vierten Länge nach rund 15 Metern einen Umlenkkarabiner erblickten, seilten wir deshalb wieder ab. Die neue Route ist - entgegen unserer Vermutung - wohl noch in Bearbeitung. Wessen Werk diese ersten dreieinhalb Längen sind, kann ich nicht sagen. Die üblichen Urner "Verdächtigen", die in den letzten Jahren in diesem Gebiet tätig waren, scheiden aus. Wir sind gespannt auf die Vollendung dieses Projekts. Infos gerne an rauchquarz.mueller(..)bluewin.ch
Vielen herzlichen Dank an meinen Bruder Kurt für diesen genussvollen Klettertag im Voralptal. Besten Dank auch dem Sanierungsteam der "Mastermind" für den Arbeitseinsatz.