Chaiserstock
Chaiserstock
"s'Chli Träumli", 6b, 5 SL
"Rinderwahn", 6c, 7 SL
Das Lidernengebiet, insbesondere die lohnenden Klettereien am Schmalstöckli, habe ich auf diesem Blog ja schön öfters beschrieben. An diesem sonnigen Oktobersamstag investierten wir etwas mehr Zeit in den Zustieg und besuchten den weit hinten im Lidernenkessel gelegenen Chaiserstock. Der Anmarsch erfolgte gleich wie zum Schmalstöckli (inkl. Luftseilbahn Chäppeliberg - Lidernen). In der Folge schlängelte sich unser Aufstieg in angenehmer Steigung durch zahlreiche Geländekammern; abwechslungsreich flankiert von vielen kleinen Tümpeln und Graskuppen.
Zum Schluss - kurz unter dem breiten Wandfuss - wurde es doch noch etwas mühsam. Wir wichen aber dem kugellagerartigen Feinschotter mit einer grosszügigen Linksschlaufe aus und näherten uns dem angepeilten Einstieg entlang der Felswand. Hier konnten wir ohne grosse Rücksetzer problemlos Höhe gewinnen und zusätzlich die Startbereiche der zahlreich vorhandenen Routen inspizieren. Die Route "Rinderwahn" lag noch im Schatten, weiter rechts streichelte der gelbe Feuerball mit seinen wärmenden Strahlen bereits die erste Seillänge der Route "s'Chli Träumli". Diese Linie schien uns als Eingehtour ideal, dummerweise machte sich aber gerade eine Seilschaft dort ans Werk. Bei der freundlichen Begrüssung zeigte sich aber schnell, dass die zwei Frühaufsteher den "Kaminpfeiler" als ihr Ziel auserkoren hatten. Anders als es unser Topo suggerierte, starten beide Route fast am gleichen Ausgangspunkt. So war für uns der Weg frei ins "Chli Träumli".
Weiter oben kamen wir dem benachbarten Kletterteam doch noch ins stets kameradschaftlich und respektvoll gehandhabte "Gehege", wird doch der steile Schlusspfeiler der letzten Seillänge von beiden Linien direkt tangiert. Der etwas heikle Auftakt ins "Chli Träumli" unter dem ersten, relativ hochsteckenden Bohrhaken entpuppte sich gleich als Muntermacher. Dank dem kletterfreundlich geschichteten Felsen konnte ich die eher sportlichen Hakenabstände dieser Startlänge aber rasch ausblenden und erreichte wohlbehalten den noch im Schatten liegenden Standplatz. Wenn ich mich so richtig weit hinaus in die Selbstsicherung lehnte, konnte ich mit dem Oberkörper sogar etwas Sonne erhaschen.
Stine folgte freudenstrahlend nach und liess mir auch für die zweite Sequenz den Vortritt. Rauer, eisenfester Kalk leitete mich die ersten, griffigen Meter hoch. Die Wand wurde nun deutlich steiler und abweisender. Über mir war aber keiner der charakteristischen Bügelhaken mehr erkennbar. Eine kurze Topo-Konsultation offenbarte die Lösung: Ein ausgesetzter, aber gut kletterbarer, Rechtsquergang führte mich in eine Verschneidung, wo wieder Bügel eingehängt werden konnten. Der Fels in diesem Abschnitt ist schlicht fantastisch und sorgte bei uns für echten Klettergenuss.
Kurz nach dem 2. Stand wartete nun die Schlüsselstelle, die mit etwas Kreativität gut gelöst werden konnte. Hier zeigte sich wieder einmal, dass der direkteste Weg über die Haken nicht immer die beste Lösung ist. Der Stand vor der letzten Seillänge war nun versehentlich vom Nachbarteam besetzt, deshalb wich ich auf einen alten Sicherungsplatz der Marke «Anderrüthi» aus, der wenige Meter tiefer auf einem bequemen Band installiert worden war. Nach kurzer Wartezeit durften wir wieder angreifen und den erfolgreichen Durchstieg vollenden. Dafür bekamen wir für die Abseilfahrt in dankenswerter Weise den Vortritt und erreichten in vier direkten Manövern den Wandfuss.
Etwas Herzklopfen bereitete dabei der zweite Umlenker an alten, selbstgeschlosserten FA-Haken. Einen davon konnte locker ich mit zwei Fingern aus dem dreckigen Riss ziehen. Glücklicherweise war der Umlenker mit einer Felskopf-Schlinge zusätzlich gesichert, was eine Benützung verantwortbar erscheinen liess. Am Boden angekommen, zügelten wir rasch unser Material zu einer geschützten Nische und genossen dort ein gemütliches Znini.
Nach dem Verzehr von Fleisch und Käse kämpften wir kurz danach mit dem «Rinderwahn». Es war aber glücklicherweise nicht die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE), die uns gepackt hatte, sondern der unheilbare Virus der Kletterlust.
Die im Jahr 2000 von Sämi Speck und Martin Ruggli eröffnete Route «Rinderwahn» verläuft mitten durch die «grosse Westwand» des Chaiserstocks und folgt bestem Felsen. Der Einstieg liegt auf einem schmalen Schuttband und ist sehr dezent in blassem Rot mit «R.W.» beschriftet. Ein verzinktes Fixe-Plättchen weist dabei den Weg. Die erste Seillänge verlangt gute Vorstiegsmoral, da a) die Haken nicht so zahlreich stecken und b) der Fels ausgerechnet in diesem Bereich nicht absolut zuverlässig ist. Bei einem Griffausbruch kurz vor dem dritten Bohrhaken ist ein «Grounder» durchaus noch möglich. Ich hängte gleich die zweite Seillänge an und erreichte «häb-chläb» mit dem letzten Meter Seil den Stand.
Stine folgte zügig nach und genoss dabei einen entspannten Nachstieg. In der dritten Länge erwartete uns berauschender Fels, der viele Griffoptionen präsentiert. Mit teils athletischen Zügen hangelt man sich extrem rauen und griffigen Schuppen entlang hoch zum bequemen Stand, wo man durchaus Platz für ein komfortables Biwak hätte. Wir wollten aber weiter zum Gipfel! Seillänge 4 und 5 kombinierte ich wieder zusammen, büsste dies aber just in der Schlüsselstelle mit etwas Seilzug. Diese plattige Passage kurz vor dem Stand verlangt gute Fusstechnik und einen beherzten Rissklemmer an entscheidender Stelle. Der Stand selber ist das pure Gegenteil seines Vorgängers: ein unbequemer Hängestand.
Ein weiterer Quergang nach rechts brachte mich unter die steile Schlusswand. Dem heiklen Boulderzug bei einer fixierten Schlinge folgte schliesslich ein Potpourri an schönen Kletterzügen in bester Kletterhallen-Manier. Beim steilen Finale kurz vor dem Stand mit der überdimensionierten Wandbuch-Büchse ist nochmals etwas Resistenz gefragt. Die letzte Länge verlangte von uns beiden zu Beginn eher feines Antreten auf körnigen Strukturen, später dann beherzte Piaz-Züge an extrem griffigen Schuppen. Geschafft! Die Prise Schnupf war wohlverdient, Stine bezog aber ihre Dosis erst am Wandfuss unten.
Diesmal liessen wir beim Abseilen den alten Anderrüthi-Stand links liegen und fädelten die Seile in die soliden Bügel der Route «s’Chli Träumli» ein. Etwas entspannter glitten wir so in vier Etappen über die besonnte Wand runter und gönnten uns vor dem Abmarsch noch ein paar Minuten Sonnenbad. Beim obligaten Bier in der Lidernenhütte – es war erst 17.30 Uhr - offenbarte man uns, dass die Seilbahn bereits Feierabend hatte. Dank der sehr freundlichen und zuvorkommenden Anfrage der Hüttenwartin erbarmte sich der nette Seilwart, verlangte aber ein unverzügliches Erscheinen bei der Bergstation. So musste das Bier «ex» hinuntergekippt und ein zügiger Schlussspurt hingelegt werden. An dieser Stelle besten Dank an die Hüttenwartin und an den Seilwart für die netten Gesten. Gemütlich gondelten wir ins Tal und tuckerten zurück in die Urner Reussebene, wo uns stürmischer Föhn willkommen hiess. Vielen Dank natürlich auch an Stine für den genussvollen Klettertag. Es hat riesig Spass gemacht!
Die Route «s’Chli Träumli» ist ein sehr genussvoller Anstieg in durchwegs griffigem, festem Kalk. Auf den Bändern liegen ab und zu lose Steine. Die Absicherung ist in den leichteren Passagen eher sportlich, bei den Schlüsselstellen aber optimal gesetzt. Die verzinkten Bügel sind alle in einem tadellosen Zustand. Vereinzelt lassen sich auch mobile Sicherungsmittel einsetzen (Camalot 0.4 bis 0.75 / Keile). Abseilen über die Route ist gut machbar. Der Einstieg ist unmittelbar links vom "Kaminpfeiler" und farblich markiert.
Die Route «Rinderwahn» ist ebenfalls sehr lohnend und in den schwierigen Längen erstaunlich gut abgesichert. Im leichteren Gelände bis 5c, besonders aber in der Startseillänge, muss man doch etwas über die Haken wegklettern. Auch hier können zusätzlich noch mobile Mittel zur Ergänzung der Absicherung verwendet werden. Abseilen über die Route wäre möglich, da jeder Stand dafür ausgerüstet ist, wegen den zwei Quergängen im oberen Teil ist dies aber wohl eher eine mühsame Angelegenheit. Daher besser über «s’Chli Träumli» abseilen (der letzte Stand an der Gipfelkante ist identisch).