Läged Windgällen Hauptgipfel
Läged Windgällen Hauptgipfel
«Südrippe», 7a+, 8 SL
«Zentralpfeiler», 6a+, 8 SL
Die dolomitenartigen Türme am Läged Windgällen im Schächental strahlen auf uns Kletterer eine ganz besondere Faszination aus. Die zwar steilen, aber dennoch lieblichen und saftig grünen Grashänge an der Basis der darüber thronenden Kalktürme schaffen ein spezielles Ambiente. Der Blick in die Urner Hochalpen mit Clariden, Schärhorn und Gross Windgällen rundet das Bild perfekt ab.
Als ich Kurt den Vorschlag unterbreite, am Läged Windgällen Hauptgipfel einen der dort ansässigen Kletter-Klassiker zu begehen, ist er sofort begeistert. Die Wahl fällt auf die «Südrippe», die weder Kurt noch ich im Detail kennen. Deren Schlüsselstelle, die auf Plattenspezialisten zugeschnitten sein soll, übt auf uns eine zusätzliche Anziehungskraft aus. Ein paar Jahre zuvor durfte ich mit Beat die benachbarte Route «Schmarotzer» klettern, die sich mäandernd um die «Südrippe» schlängelt und die gleichen Standplätze benutzt. Dabei konnte ich immer wieder die Kletterpassagen der Südrippe studieren und diese Linie auf die Projektliste setzen.
Als Ausgangspunkt wählten wir die Alp «Heidmannegg», die wir nach dem Lösen der Tagesbewilligung (Fr. 5.-) mit gutem Gewissen per Auto ansteuerten. Von dort führt ein unscheinbarer Pfad über den markanten Grasrücken via Unter- und Ober Sädel in rund 400 Höhenmetern direkt zum Einstieg hoch. Ein alter Ringbohrhaken mit einem Seilstück und der aufgemalte Routenname versichern uns, am richtigen Einstieg zu stehen. Wir sind bis zu den Oberschenkeln komplett durchnässt, wofür das hohe Gras und unerwartet viel daran haftendes Tau verantwortlich sind. Die Hosen trocknen aber rasch wieder und stören uns nicht bei den Vorbereitungen zur Klettertour.
Die Südrippe wurde 2020 von Hans Gisler und Sylvia Kempf saniert, wobei darauf geachtet wurde, dass der Charakter der Linie bestehen bleibt. Für Wiederholer bedeutet dies, dass man im leichteren Gelände bis 5c ordentlich über den letzten Bohrhaken hinaus klettern muss und dabei ruhig Blut bewahrt. Die kniffligeren Passagen sind enger bestückt; ein obligatorisch zu beherrschender Schwierigkeitsgrad von 6a ist aber Voraussetzung für diese spannende Linie. Gleich in der ersten Länge erhält man einen wunderbaren Eindruck, in welchem Stil der Rest der Route bezüglich Absicherung daherkommt. Länge 2 und 3 führen an den Fuss einer markanten Grasschulter. Hier erblickt man auch erstmals den oberen, eindrücklich steilen Wandteil, den es nun zu durchsteigen gilt. Die Querung über das Grasband ist problemlos machbar und endet bei einem einzelnen Bohrhaken am Fuss gut gestufter Felsen.
Steil, aber überraschend moderat, folgt man den silberfarbenen Bohrhakenlaschen bis zu einem bequemen Standplatz rechts aussen. Optional könnte der Seilerste noch weiter horizontal nach rechts klettern bis zu dem Zwischenstand unter der markanten Verschneidung. Wie sich das auf den Seilzug auswirkt kann ich nicht sagen, da wir diese kurze Querganglänge separat sicherten. Direkt nach dem Quergang – ohne Zwischenstand – in die Verschneidung hochsteigen, würde ich nicht empfehlen, da man garantiert mit Seilzug bestraft wird. Die Kletterei durch die Verschneidung und der folgende Linksquergang unter einem Dach zählen zur Sorte «klassisch», d.h. ein Mix aus Würgen, Stemmen, Spreizen und Hochpressen. Erschwert wird das Ganze durch die noch feuchten und schmierigen Risse im Verschneidungsgrund. Wenn man sich aber etwas links an den kleinen Griffen in der Wand orientiert, erleichtert dies die Sache ungemein.
Die folgende Länge verläuft gleich vom Stand weg wieder in perfekt trockenem und scharfem Kalk steil nach oben. Irgendwo sollte hier nun die ominöse p.a.-Stelle über eine plattige Zone auftauchen? Tatsächlich, nach rund 30 unverschämt griffigen Klettermetern stehe ich vor einem «Spiegel», aus dem zwei Bohrhaken ragen. Bei genauer Betrachtung erkenne ich ein paar «Kratzer» und Unebenheiten auf der glatten Fläche – ob der darauf platzierte Fuss hält, wird sich rasch zeigen. Mit zwei, drei ähnlich gearteten, feinen Zügen überwinde ich die glatte Passage zu meiner eigenen Überraschung im ersten Anlauf. Mein Bruder folgt, nach einem kleinen Rutscher durch einen Fussfehler, im zweiten Versuch ohne Probleme über diese knifflige Stelle und steht bald neben mir am Standplatz. Ob das jetzt wirklich eine 7a+ gewesen ist? «Wir nehmen es dankbar an», sagen wir uns. Oft genug entpuppt sich dann wieder eine «harmlose 6b» als echte Knacknuss. Wenn das Pendel mal auf die andere Seite schlägt, wollen wir uns deshalb nicht beklagen.
Eine Länge später stehen wir auf dem grossen Ringband, wo die Route beim Wandbuch endet. Die erste Abseilsequenz ist bloss 15 m kurz, sollte aber wegen der Gefahr von Seilverhängern unbedingt eingehalten werden. Danach rauscht es mit zügigen Manövern schnell runter. Drei Stunden nach Beginn der Kletterei stehen wir wieder am Einstieg unten. Es ist 12:15 Uhr – Zeit für einen Imbiss! Was nun? Zuerst liebäugeln wir mit der Route «Schmarotzer». Da wir die genau gleichen Standplätze ansteuern würden, verwerfen wir die Idee. Uns gelüstet es nach etwas landschaftlicher Abwechslung. Daher wenden wir uns dem Zentralpfeiler zu. Für Kurt wäre es nach 40 Jahren die zweite Kontaktaufnahme mit diesem imposanten Pfeiler. Voll motiviert nimmt daher mein Bruder die Startseillänge in Angriff.
In wechselnder Führung steigen wir entlang der steilen Kathedrale immer höher. In der 4. Länge folge ich nicht den schön glänzenden Sanierungs-Bohrhaken, die links durch eine Rinne hochleiten, sondern steige direkt über den Pfeiler hoch. Ein paar rostige Ringbohrhaken dienen dabei zur Sicherung. Wir sinnieren darüber, warum das Erschliessungsteam nicht auch diese markant lohnendere Direktvariante in bestem Fels gewählt hat und dort die neuen Bolts gesetzt wurden. Bei der nachträglichen Recherche stosse ich auf einen Bericht von Hans Kempf (Alpen 2000/7), in dem er von der Einrichtung dieser direkten Linienführung schreibt. Wollten die Sanierer um jeden Preis der Originalführe aus dem Jahr 1973 folgen? Es scheint so!
Kurz danach folgt eine weitere, steile und herrlich zu kletternde Länge. Im oberen Teil derselben wird wohl mancher Wiederholer angestrengt nach weiteren Haken Ausschau halten. Ein kleiner Tipp: Immer gerade hoch durch die Verschneidung; die Haken kommen plötzlich in Sicht- und Clip-Nähe. Vom nächsten Stand weist dann der erste Bohrhaken nach rechts um die Kante. Mit viel Luft unter den Sohlen turne ich an besten Griffen hoch und verpasse im Kletterrausch beinahe den nächsten Sicherungsplatz. Er liegt, wenige Meter unter der Turmspitze, links der Kante auf einem geräumigen Podest. Eine längere Gehpassage und eine durchzogene Übergangslänge bringen uns auf das Ringband, an dessen Ostende die Südrippe andockt. Wir verzichten auf die abschliessende Kaminverschneidung, die noch nass ist und queren mit einem luftigen Fussmarsch über das Ringband zur Abseilpiste der Südrippe.
Um 15:15 Uhr stehen wir wieder am Einstieg unten und geniessen das verdiente Zabig. Auf uns wartet noch der schmierige Abstieg zur Heidmannegg, wo wir mit einem Moscht auf den gelungenen Klettertag anstossen. Besten Dank, Bruderherz, für den genussvollen Klettertag im steilen Schächentaler Kalk. Ein Dank gebührt auch den beiden Sanierungsteams, die den Zentralpfeiler und die Südrippe mit neuem Material bestückt haben.