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Oberwald "Wolfspfad"

Oberwald
Klettergarten Wolfspfad
Samstag nach Auffahrt: Eine aktive Kaltfront würde voraussichtlich um die Mittagszeit quer über die Alpen ziehen und ergiebigen Regen mit sich bringen. Glücklicherweise korreliert die Vernunft mit dem zunehmenden Alter, was zu einem Verzicht auf eine längere und zeitraubende MSL-Klettertour an diesem Tag führte. Nach etwas Recherche im Internet und Abgleich mit den Niederschlags-Radarbildern fiel der Entscheid auf den Klettergarten Wolfspfad in Oberwald.

Dank dem stimmigen Bericht von Raphi Imsand auf seiner interessanten Website www.bergsucht.ch erfuhren wir von einer kürzlich erfolgten Sanierungs- und Putzaktion an diesem griffigen Gneisfelsen. Zum endgültigen Entscheid für den Besuch in Oberwald trug aber das Wissen über die noch gesperrte Strasse von Oberwald in Richtung Gletsch bei. Wenn erst einmal die Pässe Grimsel und Furka wieder offen sind und damit auch die knatternden und heulenden Feuerstühle darüber brettern, wird es in diesem Klettergarten ungemütlich. Der unscheinbare, etwas im Wald versteckte Fels liegt nur wenige Meter über der stark frequentierten Passstrasse. Da in der Nähe noch eine Haarnadelkurve liegt, kommt man sogar zweimal in den Genuss dieses unerträglichen und extrem störenden Lärms.

So bestiegen wir in Hospental den Zug und liessen uns gemütlich mit der MGB via Furka-Basistunnel nach Oberwald chauffieren. Der Wanderweg beginnt wenige Meter westlich der Kirche in Oberwald und führt in die zweite Haarnadelkurve der Strasse Oberwald – Gletsch. Nun folgt man der Strasse noch etwa 70 Meter aufwärts, bis auf der Bergseite ein weisser Pfeil auf einem Stein den Einstieg in ein schmales Weglein markiert. Zwei Minuten später steht man unter den Felsen und erblickt viele glänzende Bohrhaken. Wir starteten im mittleren Wandteil, wo mit „Flotter H.“ eine ideale Aufwärmtour im Bereich 5b/c liegt. Nach einer unterhaltsamen Debatte mit Stine, ob dieses H. nun für Hans oder eher für Hase steht, fanden wir sehr rasch einen Konsens über die Schönheit der Route: Sie ist schlicht und einfach fantastisch! Der steile und griffige Gneis und die perfekt verteilten Henkel sorgten für gute Stimmung. Noch etwas störend waren die Staub- und feinen Erdresten der kürzlich erfolgten Putzaktion, aber diese Spuren würden ja bald vom prognostizierten Regen weggeschwemmt werden. An dieser Stelle möchte ich dem fleissigen und perfekt agierenden Sanierungsteam ganz herzlich danken. Ihr habt hier fantastische Arbeit geleistet!

Wir absolvierten unser Programm nach rechts orientiert und reihten Route um Route in unser Palmarés. Den Abschluss machte die kleingriffige und kantige „Nose“, die leider statt 1000 Meter hier nur knapp 10 misst. Alle anderen Linien sind aber deutlich länger und bieten jeweils zwischen 20 und 25 Meter Klettergenuss. Immer wieder ging unser Blick westwärts. Keine Anzeichen der angekündigten Front waren erkennbar. Der Himmel klarte sogar mehr und mehr auf und die Sonne brannte doch schon ordentlich auf uns nieder. Eine kurze Verpflegungspause später widmeten wir uns den verlockenden Routen im linken Wandsektor. Der anziehende Talwind sorgte nun für eine angenehme Brise, einzig am Wandfuss staute sich noch etwas die Sonnenenergie. Charakteristisch für diesen etwas steileren Teil des Klettergartens sind scharfe Risse, Verschneidungen und Piazschuppen, die von einer griffigen Dächerzone abgelöst werden.

Die perfekten Linien begeisterten uns und wir fanden nur lobende Worte für die Art der Kletterei. Die Absicherung ist optimal und mit viel Sachverstand platziert. Eine Route blieb im Originalzustand und wurde auch nicht geputzt. Wir verzichteten nach einem Augenschein aus der Nachbarroute gerne auf eine Begehung, da Reibungskletterei über einen Flechten- und Moosteppich auch bei trockenen Bedingungen nicht viel Genuss verspricht. Die restlichen elf Routen sind aber optimal gereinigt und sauber gebürstet worden. Ganz links ist scheinbar noch eine Neutour hinzugekommen. Die feingriffige Verschneidung im unteren Teil, ein paar Piazzüge und Rissklemmer in der Mitte und der athletische Abschluss über ein Dach bilden eine wunderbare Komposition. Gleich rechts davon verläuft „z’Dachji“ in ähnlichem Stil. Voller Begeisterung kletterte ich diese Traumlinie nach Durchsteigung aller Route zum Abschluss unserer Session gleich noch ein zweites Mal. Am Umlenker oben, wo der Blick gegen Westen etwas offener ist, erblickte ich die Vorboten der nahenden Front.

Auf dem Fussmarsch zurück nach Oberwald verdunkelte sich der Himmel zunehmend, das Bier im Bahnhofbuffet konnten wir aber noch auf der Terrasse geniessen. Eine Stunde später, als wir in Hospental aus dem Zug stiegen, fielen bereits schwere Tropfen vom Himmel.

Der Klettergarten Wolfspfad ist wirklich einen Besuch wert. Besonders im Frühling und Spätherbst, wenn die Passstrasse gesperrt ist, wird man hier in Ruhe genussvoll klettern können. Der Zustieg ab Bahnhof Oberwald dauert knapp 20 Minuten und könnte auch mit einem Mountain-Bike entlang der wenig steilen Passstrasse absolviert werden. Die Routenliste von links nach rechts mit den von uns geschätzten Bewertungen:

1. Unten knifflige Verschneidung, oben athletisches Dach (Neutour), 6c
2. «z’Dachji», unten griffiger Riss, dann links am Dach vorbei, 6b
3. «Eat the rich», gleicher Einstieg wie «z’Dachji», dann plattig rechts weg und kräftig übers Dach, 6b
4. Unten breiter, nach rechts ziehender Riss, in der Mitte griffiges Dach, oben plattig, 6a+
5. Nicht sanierte alte Route, extrem moosig, weite Abstände mit zwei alten Schlaghaken, ???
6. «Flotter H.» (linke Variante), griffig mit vielen Schuppen, 5c+
7. «Flotter H.» (direkt), viele perfekt Henkel, 5b
8. Rechts von «Flotter H.», ein perfektes Angebot an Griffen, 5c
9. Sehr griffige Wandkletterei, oben etwas plattiger, 5c
10. Unten steile Kante mit coolem Untergriff, oben kurze kleingriffige Wandstelle, 6a
11. Unten Kamin-Verschneidung, oben kräftige Wandstelle mit rundlichem Schlüsselzug, 6b
12. «Nose», kurze, kleingriffige Kantenkletterei, eng steckende Bohrhaken, 6a. Kann über die die linke Nachbarroute weitergeführt werden (6b).