Fadenquarze an Weihnachten
Fadenquarze an Weihnachten
Kurt Müller, Erstfeld
24. Dezember 2009. Eine typische Föhnlage über dem Urnerland treibt das Thermometer auf angenehme 15° Celsius. Im Oberland hängen schwarze Wolken an den Bergketten. Mit Skifahren wird es wohl heute nichts und der Weihnachtsbaum ist auch schon geschmückt. Bevor Langeweile aufkommt, beschliesse ich spontan, eine Strahlertour ins Intschitobel zu unternehmen.
Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass in diesem Gebiet keine grossen Bergkristalle zu finden sind. Doch mit ein bisschen Glück kann das eine oder andere Mineral wie Brookit, Anatas oder Apatit zum Vorschein kommen. Auch die allseits beliebten Fadenquarze sind vielfach schon gefunden worden.
Frohgelaunt verlasse ich beim Parkplatz der Arni Seilbahn die gesicherten Wege, überquere die SBB- Bahnlinie und steche über ein steiles Bord dem Reusstobel zu. Da und dort stecke ich meinen Kopf in bereits ausgeräumte Klüfte, studiere das Gestein und überlege, anhand welcher Anzeichen meine Vorgänger hier wohl begannen nach den verborgenen Schätzen zu suchen. Auch der Föhnsturm der vor kurzem gewütet hatte, hat seine Spuren hinterlassen. Die eine oder andere umgestürzte Tanne versperrt mir den Durchgang und verlangt diverse akrobatische Verrenkungen. Schon einige Male haben solche Stürme Klüfte freigelegt. Diesmal jedoch finde ich trotz sorgfältiger Suche keine verwertbaren Anzeichen.
Bereits habe ich die Talsohle erreicht. Ganz ruhig fliesst die Reuss durch die enge Schlucht. Ich erstelle mich kurz und lösche meinen Durst mit einigen Zügen aus der Trinkflasche. Zufrieden stelle ich fest, dass meine neuen Bergschuhe bequem zu tragen sind und keine Druckstellen erzeugen. Ich ziehe weiter der Reuss entlang Richtung Gurtnellen. Diese Gegend hat auch schon aktivere Strahlerzeiten erlebt. Heute verirren sich wohl nur noch wenige Strahler in diese steilen Flanken beidseits der Reuss. Und zur Zeit bin ich weit und breit der einzige Kristallsucher. Wie ich so vor mich hin philosophiere, fällt mir ein frischer Felsabbruch auf. Den werde ich mal näher untersuchen. Am Fuss des Felsens befinden sich zwei ältere Klüfte. Rechts von diesen Klüften entdecke ich einen horizontalen Riss von etwa zwei Metern Länge. Neugierig untersuche ich diesen Riss genauer. Von einem Quarzband ist weit und breit nichts zu sehen. Aber das besagt ja eh nicht viel, und einen Versuch ist es allemal wert.
Mit Fäustel und Spitzeisen erweitere ich den Riss. Das Gestein ist nicht allzu hart und ohne grösseren Kraftaufwand, lassen sich beträchtliche Brocken lösen. Der Riss erweitert sich und nach kurzer Zeit erscheinen bereits die ersten kleinen Stücke mit Quarzen. Als ich einen weitern grossen Block aus der Wand lösen kann, liegen eine Vielzahl von Quarzen im nassen Sand. Vorsichtig entnehme ich ein Stück nach dem anderen aus der Kluft und deponiere sie auf dem Rucksack. Erst jetzt realisiere ich, dass ich ein Luxusproblem habe: Ich bin natürlich wieder einmal ohne Verpackungsmaterial unterwegs. Da die Stufen äusserst filigran ausgebildet und zum Teil mit schönen Fadenquarzen besetzt sind, wäre weiches Verpackungsmaterial dringend nötig. Keinesfalls möchte ich die Stufen beim Transport verletzen. Ohne lange zu überlegen, steige ich zum Auto hoch, fahre nach Hause und bin kurze Zeit später wieder zurück an meiner Arbeitsstelle. Dieses mal aber mit genügend Verpackungsmaterial. Sofort beginne ich die schönsten Stufen vorsichtig in Papier zu wickeln, um freie Ablagefläche auf meinem Rucksack zu erhalten. Denn in der Kluft liegen noch einige Stücke bereit zum Ernten. So vergeht die Zeit im Fluge. Bereits setzt die Abenddämmerung ein. Mit der nötigen Vorsicht verpacke ich die restlichen Stufen, fülle den Rucksack und trete überglücklich den Heimweg an. Heute abend soll ja das Christkind kommen. Mir muss es nichts mehr bringen. Ich habe an diesem Nahmittag genug schöne Geschenke erhalten.