Glatten Südpfeiler
Chli Glatten Südpfeiler, 6b, 6 SL
Komplettsanierung
Der Südpfeiler am Chli Glatten gilt ohne Zweifel als grosser Klassiker in den steilen Kalkfluchten des Schächentals. Bereits im Jahr 1975 fanden Wisi Herger und Sepp Gisler einen gangbaren Weg über den formvollendeten Pfeiler - eine wirklich bewundernswerte Leistung für die damalige Zeit! Die bei der Erstbegehung verwendeten Schlaghaken und Sticht-Bohrhaken (6mm-Vierkant-Bolzen) wurden bei einer späteren Sanierung durch die legendären Ringbohrhaken ersetzt. Es existierten zu dieser Zeit zwei unterschiedliche Modelle der Ringbohrhaken, wobei sich das vom leider kürzlich verstorbenen Hans Sonderegger entwickelte "Sondy-Modell" eindeutig widerstandsfähiger bezüglich Korrosion und Bruchlast entpuppte. Zwei grosse Nachteile hatten beide Systeme: die schlechte Sichtbarkeit im grauen Kalk und das mitunter mühsame Einhängen des Rings aus einer exponierten Kletterstellung.
Am 7. Juni 2023 machten wir uns nun an die Komplettsanierung des Chli Glatten Südpfeilers. Mein Bruder Kurt und ich stiegen mit 45 neuen Bohrhaken der Marke "Austria Alpin" in die Wand ein und ersetzten während dem Klettern die jeweiligen Ringbohrhaken. Mit dieser Taktik konnten wir die bestehende Ausrüstung praktisch 1:1 erneuern. An neuralgischen Punkten wie dem Einstiegsbereich oder beim kleinen Felsausbruch in der vierten Seillänge setzten wir einen zusätzlichen Bohrhaken. Besonders achteten wir auf die optimale Visibiltät der neuen Sicherungspunkte. Die alten Ringe waren oft in Mulden oder hinter Felskanten "versteckt" und liessen so potentielle WiederholerInnen verzweifeln. Natürlich legten wir auch ein Augenmerk auf eine ideale Seilführung, was sporadisch zu einer leicht geänderten Platzierung der neuen Sicherungslaschen führte.
Immer wieder spannend war das individuelle Verhalten der alten Ringbohrhaken beim Entfernen derselben: Einige Exemplare verschwanden beim zweiten, dritten Hammerschlag pfeiffend in die Tiefe. Sie brachen in ca. 10 mm Tiefe mitten im Bohrloch drin. Andere benötigten bis zu zwanzig massive Hammerschläge auf den Kopf, bis sie endlich komplett aus der Bohrung "flutschten". Sie blieben per se am Stück und lösten sich nur, weil durch die vielen Schläge das umgebende Gestein bröckelte. In einem speziellen Fall platzte beim ersten Hammerschlag ein ganzer Block unter dem Bohrhaken weg. Zum Glück für meinen Sicherungspartner konnte ich diesen kopfgrossen Stein im letzten Moment festhalten und kontrolliert im Abgrund entsorgen.
Die Sanierung einer bestehenden MSL-Route ist aufwändiger als die Begehung einer Neutour. Das Entfernen des alten Plunders beansprucht viel Zeit und Kraftaufwand. Die Beibehaltung des ursprünglichen Routencharakters muss zudem in Einklang mit allerlei Sicherheitsüberlegungen gebracht werden. Einfacher ist dagegen die Linienwahl - da bereits gegeben - und das Setzen der neuen Bohrhaken. Ich hängte mich meist an die alten Ringe und bohrte in vernünftigem Abstand das neue Loch für den rostfreien Anker. Während dieser monotonen Tätigkeit dachte ich oft erhrfürchtig an die Erstbegeher, die hier vor fast fünfzig Jahren mit einem Handbohrer dem Fels zu Leibe rückten.
Zwei kleine Sorgen begleiteten uns auf dem Weg zum höchsten Punkt der Route: 1. Reichen die Ressourcene bezüglich Akkuladung und mitgeführter Bohrhaken? 2. Hält das labile Wetter? Die erste Frage konnten wir beim Wandbuch oben ad acta legen. Wir hatten noch fünf Bohrhaken Reserve, mit denen wir während der Abseilfahrt die bestehenden, einzementierten Muniringe an den Standplätzen ergänzten. Das Wetter spielte uns ebenfalls in die Karten. Als wir nach fünfeinhalb Stunden Tätigkeit in der Wand wieder am Einstieg unten standen, waren die Quellwolken zwar etwas dunkler geworden, aber es blieb bis zur Heimkehr trocken.
Der Chli Glatten Südpfeiler erfreut mit seiner neuen, zeitgemässen Ausrüstung hoffentlich viele kletterbegeisterte WiederholerInnen. Die Route verlangt aber nach wie vor etwas Engagement und ein sicheres Klettern im Bereich 5c/6a. Jene Stellen, die früher A0 zu bewältigen waren, haben wir bewusst wieder so eingerichtet. Eine gewisse Erleichterung ist nun bestimmt das deutlich bessere Erkennen des nächsten Bolts - ein Umstand, der sehr viel Einfluss auf die Psyche hat. Die zusätzlichen Bohrhaken in der 1. und 4. Länge machen Sinn und verhindern im Ernstfall bös endende Stürze. Insgesamt stecken nun 40 erneuerte Zwischensicherungen, was in etwa dem alten Ausrüstungsstand entspricht. Vereinzelt lassen sich noch Cams der Grösse 0.5 und 0.75 legen.
Besten Dank dem Verein Urner Kletterfinken (UKF), der diese Sanierung moralisch und finanziell unterstützt. Ein herzliches Dankeschön geht an meinen Bruder Kurt, der als frischgebackener Pensionär das Lastenschleppen übernahm und mit seiner grossen Erfahrung wertvolle Tipps zur Sanierung beisteuerte. Es hat riesigen Spass gemacht. Diesen Spass wünschen wir natürlich auch allen Kletternden, die zukünftig über den Südpfeiler hochsteigen und die neue Absicherung nutzen.