Gorduno "King Roger"
Val di Gorduno «King Roger», Klettergarten, 5c – 6c
Und wieder, wie so oft in diesem kalten April 2021, blies eine unangenehme Bise durch das Urnerland. Dichte Wolken verhüllten zudem sehr effizient die wärmende Frühlingssonne. Für meinen Bruder Kurt und mich ein ganz klares Votum, unseren geplanten Klettertag mit einer Fahrt durch den Gotthardtunnel zu beginnen. Dank den verschärften Corona-Schutzmassnahmen in ganz Europa hat sich die Verkehrssituation vor der Tunneleinfahrt in Göschenen markant verbessert.
Wir genossen freie Fahrt in Richtung Süden. Gleissendes Sonnenlicht empfing uns in Airolo und sorgte für einen zusätzlichen Motivationsschub. Kurz vor Bellinzona fädelten wir uns aus der Autobahn, bezahlten die fünf Stutz Strassenmaut für die Fahrt ins Val di Gorduno und zirkelten unseren fahrbaren Untersatz die löchrige Bergstrasse hoch bis zum Weiler Pianello. Der viertelstündige, nur zu Beginn etwas ansteigende Fussmarsch brachte den Organismus just auf die richtige Betriebstemperatur. Am Wandfuss des Sektors «King Roger» herrschte wohltuende Stille – wir waren und blieben hier den ganzen Tag allein.
Da wir beide das erste Mal an diesem Stück Gneis kletterten, begannen wir systematisch im linken Teil und freuten uns, dass «Break» (5b) - die einzige nur mit zwei Sternen bewertete Route - schon sehr lohnende Kletterei bot. «Match Point» (6a+) kletterten wir im unteren Teil gleich zweimal, da in halber Wandhöhe die etwas anspruchsvollere Variante «»Ace» (6b) links abzweigt. Nun standen wir bereits schon im Final von «Grande Slam» (6c), deren Schlüsselstelle bei der Überwindung eines Dachs zu finden ist. Diese reibungslastige Passage ist extrem gut abgesichert, der Rest ist eher einfach. Somit käme man auch locker mit 5c, A0 sehr gut durch diese Route.
Auf jeden Fall dünkte mich die gleich rechts liegende «Sneak attack by Roger» (5c) durchgehend anspruchsvoller, natürlich mit Ausnahme der freien Dachüberwindung. Generell sind die 5c-Linien eher hart bewertet, die Route «Volée» (5c+) entlang einer Quarzader ist gefühlt deutlich anspruchsvoller als etwa «Tie-Break» (6a). Ganz feines Hinstehen und gutes Vertrauen in die Schuhsohlen wird schliesslich in «Serve & Volley» (6b+) verlangt. Die braunen, wie aufgeklebt wirkenden Schuppen, scheinen etwas brösmelig, bieten aber immer wieder Möglichkeiten zum Greifen und Stehen – insgesamt eine wundervolle Linie für Liebhaber dieser speziellen Kletterdisziplin.
Nach erfolgreichem Durchstieg aller vorhandenen acht Routen, die teils sogar mehr als vierzig Meter lang sind (Achtung: Knopf ins Seilende), genossen wir am Wandfuss eine gemütliche Vesper. Der Sektor «King Roger» wurde mit grossem Aufwand durch die Gruppo Scoiattoli Denti della Vecchia aus dem Gehölz befreit, vorbildlich geputzt und perfekt eingerichtet. Es handelt sich um erstaunlich steile, sehr vielfältige Gneiskletterei an Leisten, Rissen, Dellen und feinen Kanten.
Typische Reibungskletterei ist nur in den Routen rechts und bei der Dachüberwindung von «Grande Slam» gefragt, der Rest ist wirklich sehr abwechslungsreich gestaltet. Der Wandfuss ist bequem eben und die ruhige Lage im Wald darf als weiterer Pluspunkt genannt werden. Uns hat es hier perfekt gefallen: Besten Dank den fleissigen Routen-Erschliessern rund um Glauco Cugini. Auf dem Rückweg besuchten wir noch den Sektor «Safari». Trotz aufflammender Müdigkeit konnten wir es uns nicht verkneifen, wieder ins Gurtzeug zu steigen und die Finken zu schnüren…