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Chälen-Rippe "Zwatzli"

«Zwatzli», Chälen-Rippe bei Erstfeld, 5c, 7 SL
Mehrseillängen-Routen im Talgrund sind in diesem schneereichen Frühling besonders begehrt. Die weisse Pracht schmilzt nur langsam in den höheren Regionen und die Lust auf erlebnisreiche MSL-Touren steigt und steigt… Per Zufall entdeckte mein Bruder Kurt in diesem Winter eine bis anhin völlig unbekannte Route ganz in der Nähe von seinem Wohnort Erstfeld. Die neue Linie liegt etwas versteckt in einem Wald und führt in griffigem Erstfelder-Gneis über eine markante Rippe auf einen Felskopf hoch.

Als ich am Freitagabend nach Auffahrt meinen Bruder kontaktierte und ihn zu einer Begehung dieser neuen Kreation einladen wollte, erfuhr ich überrascht, dass er just an diesem Tag die Route seilfrei und im Alleingang durchstiegen hatte. Scheinbar lässt die Katze das Mausen nicht: Nach seinen verwegen Solobegehungen des «Villiger-Pfeilers» (Salbit), der «Via Hammerbruch» (Salbit), der «Niedermann» (Salbit), der «Grauen Wand» (Gletschhorn) und der «Alhambra» (Monte Garzo) wollte er inskünftig auf solche Adrenalin-Trips verzichten…

Ohne Kenntnisse der Route und deren Schwierigkeit ist er nun trotzdem solo in «Zwatzli» eingestiegen, musste aber wegen der da und dort noch vorhanden Flechten und Moospölsterchen sehr konzentriert ans Werk gehen. Dem Routennamen durfte er auf keinen Fall die Ehre erweisen und sich wie ein «Zwatzli» verhalten (Zwatzli = einer der alles eilig, ungeschickt und unstet tut).

Mit dem genauen Zustiegsbeschrieb von Kurt fanden auch Stine und ich am Folgetag den Einstieg. Wir wollten das halbtägige Wetterfenster ohne Regen nutzen und nach zwei intensiven Klettertagen etwas gemütlicher ans Werk gehen. Vom Quartier Taubach in Erstfeld folgten wir ein Stück weit der Autobahn, bis ein unscheinbarer Weg in den Wald hochführt. Eine Serpentine vor den «Franzosenlöchern» (Waldfestplatz mit Ölfässer-Deponie) verlässt man diesen Weg, steigt nun leicht ansteigend gegen Norden zum Einstieg am Fuss einer markanten Rippe auf. Direkt beim Routenstart (Metallschild) befindet sich ein geräumiges Podest, auf dem man sich bequem in den Klettergurt zwängen kann.

Entlang einer scharfen Rippe gewinnt man den ersten Stand (4a). Nun muss nach wenigen Metern eine ausgeräumte Rinne gequert werden, wo eine griffige Piazschuppe den Weiterweg ermöglicht. Ein kleiner, ekliger Aufschwung kann rechts umgangen werden, weiter über etwas moosige Platten zum 2. Stand (5c). Aufschwünge und flachere Passagen leiten zur Kette beim 3. Standplatz (4b). Nun hoch zur Rippe und in luftiger Querung an dieser nach links. Die folgenden 15 Meter sind wieder etwas durchzogen und führen zum bequemen Stand Nr. 4 (4b). Ein flaches Teilstück im Wald dominiert die fünfte Länge und endet mit einem Linksquergang im Wald (3a). Direkt an der Rippe führt eine mit gelben Punkten markierte und bestens mit neuen Bohrhaken versehene Variante hoch, die aber ziemlich schmutzig und durchwachsen ist. Hier steckten noch zwei ältere, rostige Bohrhaken. Scheinbar fanden da früher schon Versuche einer Erstbegehung statt (siehe Nachtrag zur Historie von "Zwatzli" am Schluss dieses Artikels).

Die «Zwatzli» überwindet 20 Meter links der Rippe ein schönes Wändchen und gelangt über Platten und griffige Aufschwünge (markante, weisse Felsflecken) zum Wandbuch beim fünften Stand (5a). Nun links 2 Meter absteigen, dann direkt hoch zum Beginn einer Verschneidung. Durch diesen Felswinkel hoch zum steilen Schlussaufschwung, der auf den ebenen Felskopf führt (5c). Die Route ist sehr gut abgesichert und bietet interessante Kletterstellen. Leider erobert sich die Natur rasch wieder den herausgeputzten Fels zurück und lagert da und dort etwas Schmutz auf den guten Griffen ab.

Falls die Route aber öfters wiederholt wird, könnte diese Linie erhalten bleiben und zu einem begehrten Ziel für Genusskletterer werden. Das Abseilen ist zwar etwas mühsam, da man die Seile unmöglich auswerfen kann. Allenfalls könnte man oben auch zu Fuss austeigen und gelangt so in einen Weg, der von Hell P. 982 nach Erstfeld runterführt. Dies haben wir aber nicht überprüft! Uns persönlich hat die Route durchaus Spass gemacht, obwohl wir in den zwei vorangegangen Klettertagen eindeutig besseren Fels unter den Fingern hatten. Vielen Dank an Stine für das spontane Mitmachen in der Route «Zwatzli».
Bitte den Zustieg (B) vom Quartier Taubach nicht mehr benutzen. Scheinbar wurde in jüngster Zeit gedankenlos durch das hohe Gras getrampelt und damit der Bewirtschafter (Bauer) verärgert.
Es kann auch vom Steinbruch Mattli in Niederhofen (A) aufgestiegen werden (rosafarbene Markierungen, Wegspur etwas verwachsen). Der Routenverlauf selber ist dank der zahlreichen Bohrhaken problemlos zu finden.

Nachtrag zur Historie von "Zwatzli":
Kurz nach der Freischaltung dieses Berichts erreichte mich ein Mail von Daniel Arnold (Stäfi), der in den späten Achtziger- und Neunzigerjahren viele neue Routen und Klettergärten in Uri erschlossen hat. Daniel hatte schon vor mehr als 25 Jahren die Chälen-Rippe im Alleingang und mit minimalstem Materialeinsatz begangen. Er folgte der logischen Linie entlang der Rippe und setzte nur für die Abseilstände ein paar wenige Haken. Während unserer Begehung der gelb markierten Variante haben wir tatsächlich zwei alte Bohrhaken entdeckt, die aber nicht von Daniel Arnold stammen, da sie als Zwischensicherung entlang der Rippe gesetzt sind. Mein Bruder entdeckte beim Abseilen noch ein älteres Wandbuch, das vermutlich auch aus dem letzten Jahrhundert stammt. Scheinbar wurde an dieser Chälen-Rippe schon mehrmals ein Angriff gestartet...
Nach Rücksprache mit Daniel Arnold habe ich zudem erfahren, dass in diesem Bereich noch weitere Erschliesser-Aktivitäten Mitte der Achtzigerjahre erfolgten. Weiter rechts - im steileren Wandbereich - wurden zwei kurze MSL-Routen eingerichtet:
1.) "Dezibella" von Beni Gisler, 3 SL mit Ringbohrhaken erschlossen, die zweite SL wartet noch immer auf eine RP-Begehung, vermutlich wieder stark verwachsen.
2.) Noch weiter rechts eine MSL-Tour von Peter Furrer und Markus Wyrsch, die später von Jürgen Bissig (Spiri) begradigt und freigeklettert wurde. Wie deren heutiger Zustand ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Zudem soll ganz in der Nähe noch eine Klettergartenseillänge namens "Hopbei" existieren, die von Hansruedi Tresch und Freunden eingerichtet wurde.
Leider musste ich auch erfahren, dass einer der Erstbegehr von "Zwatzli" - Fabian Arnold - am 15. August 2020 in den Walliser Bergen tödlich verunglückt ist. Mein herzliches Beileid den Hinterbliebenen.