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Niderhorn

Niderhorn
"Syndrom" 6a, 5 SL
"Schmetterlingsmagnet" 6b, 4 SL
"Tio Pepe" 6b, 8 SL
An das Diemtigtal im Berner Oberland knüpfe ich sehr gute Erinnerungen: Vor rund dreissig Jahre absolvierte ich in dem wunderschönen Tal meine Ausbildung zum Gleitschirm-Fluglehrer. Das Klettern war damals eher zweitrangig. Diese Priorisierung hat sich inzwischen markant geändert. Der Gleitschirm vermodert nun im Keller, dafür sind Seil und Kletterfinken stets griffbereit.

Mit Beat begleitete mich an diesem Tag ein ehemaliger Gleitschirmkollege, der zwar mitunter noch fliegt, aber viel lieber in den Felsen herumhängt. Um diesen Tag optimal zu nutzen, starteten wir bereits um 6 Uhr in Altdorf und standen zwei Stunden später am Fuss des eleganten Schmetterlingpfeilers. Die nadelförmige Architektur dieser Zinne begeisterte uns schon beim Zustieg. Gespannt auf die geplante Kletterei, trafen wir in der Scharte beim Einstieg die letzten Vorbereitungen. Zwei Routen verlaufen direkt an der südlich exponierten Kanten. Bei beiden ist die Startlänge das Eintrittsticket für die ganze Route.

Mit "Syndrom" wählten wir die laut Topo etwas gemütlichere Linie als Aufwärmroute. Bereits beim zweiten Bohrhaken fragte ich mich aber kurz, ob die 6a-Bewertung dieser Auftaktlänge als Scherz gelten soll. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich aber die versteckte Lösung und konnte so ein peinliches Desaster vermeiden. Der Fels ist eher trittarm und bedingt ein häufiges Anstehen auf Reibung. Für die Fingerarbeit stehen scharfe Leisten und Minikanten auf der Werkzeugliste. Die Absicherung ist perfekt und eng gesetzt. In der zweiten Länge kann man wieder flüssiger vorwärts klettern, wobei man viel auf plattige Trittmulden hinstehen muss. Nicht ohne Anspruch gestaltet sich die dritte Länge: In sehr plattigem Terrain schleicht man an kleinen Kanten und Dellen durch das silbergraue Kalkschild. Unverhofft künden dann die gelbfarbenen Bohrhaken einen längeren Quergang nach links an, der in einer bequemen Nische endet.

Mit dieser unerwarteten Richtungsänderung wollten die Erstbegeher wohl eine Berührung mit der Nachbarroute verhindern und zugleich auch die lohnende Fortsetzungs-Verschneidung in der 4. Seillänge anpeilen. Auch dieser Abschnitt ist nicht geschenkt und verlangt Umsicht und sauberes Hinstehen. Eine kurze Schlusslänge später standen wir bereits auf dem Pfeilerkopf oben und ergötzten uns an der fantastischen Aussicht. Die liebliche, saftgrüne Alpenlandschaft kontrastiert perfekt mit den hellgrauen Kalktürmen - eine zauberhafte Gegend! In zwei luftigen Abseilfahrten gelangten wir wenige Meter neben dem Einstieg zu Boden und gönnten uns eine verdiente Znünipause.

Der Einstieg in "Schmetterlingsmagnet" erfolgte am genau gleichen Ort wie für die "Syndrom". Nun aber folgte die Linie einer seichten Rissspur links hinauf, deren Überwindung doch ordentlichen Einsatz verlangte. Die Griffe sind gut versteckt und das Platzieren der Füsse ist mitunter eine ordentliche Herausforderung - ein typischer Oldschool-Siebner! Die folgende Aufgabe für Beat gestaltet sich in der 2. Länge zwar etwas gemässigter, gleich vom Stand weg muss aber doch konsequent zugepackt werden. Der Rest entpuppte sich dann deutlich gemütlicher, wobei wir uns etwas über die spezielle, teils weit ausholende Linienführung wunderten. Kurz darauf war die Turmspitze ein zweites Mal erreicht. Den bewährten Weg zurück mit zwei luftigen Abseilmanövern kannten wir ja bereits.

Der Tag war noch jung! So packten wir unser Bündel und wechselten auf einem schmalen Gemspfad unter den markanten Turm der Route "Tio Pepe". Zu Beginn folgt diese 8-Seillängen-Tour einem unverschämt griffigen Pfeiler, überwindet ein paar Grasbänder und leitet schliesslich über ein paar Schrofen an den Fuss des eindrücklichen Turms. Dort ist die Kletterei gleich zu Beginn steil und fordernd. Aus dem breiten Riss heraus gewinnt man die luftige Kante, an der man wahlweise links oder rechts höher steigen kann. Den Zwischenstand liess ich aus, musste dafür aber ein paarmal die bereits verwendeten Expressschlingen nachholen. Bei der sehr engen Absicherung ist dies gut machbar. Beat folgte mit einem breiten Lächeln.

Um den Gipfel zu erreichen, seilt man von diesem freistehenden Turm 20 Meter auf die Westseite ab und quert zu Fuss zur Schlusswand. Diesen "Alpintrip" schenkten wir uns und seilten zum letzten Stand am Turmfuss ab. Von dort gelangten wir mit weiteren 50 Metern in eine grasige Rinne, die uns in wenigen Minuten direkt zum Einstieg zurück brachte. Dies ersparte uns den etwas heiklen Fussabstieg aus der westseitigen Turmscharte.

Wir machten uns auf den Heimweg und freuten uns sehnsüchtig auf ein Bier am Brünigpass oben. Rund 500 Meter vor der Passhöhe steckten wir aber im äusserst zähen Sonntagsstau. So wendeten wir spontan und düsten via Sustenpass ins Urnerland, aber nicht ohne genussvollen Zwischenstopp in Gadmen. Das freundlich kredenzte Eiskaffee und der gleichzeitig verkostete, aromatische Schnupf mundeten hier vorzüglich. Vielen Dank an Beat für die offerierte "Horizonterweiterung" am Niderhorn. Es hat extrem Spass gemacht!