Saisonrückblick 2018
Ein Jahr der Superlative?
Der Rückblick auf die Strahlnersaison 2018
Bruno Müller
Die Verwendung von Superlativen ist in unserer schnelllebigen Zeit eine gängige, wenn auch oft voreilige Ausdrucksform. Rasch spricht man vom besten aller Fussballer, von der grössten aller Schauspielerinnen oder eben wettermässig von einem Jahrhundertsommer. Aber hatten wir nicht erst vor knapp 16 Jahren einen „absoluten“ Jahrhundertsommer? Das vergangene Jahr bescherte uns nun bereits wieder eine warme Saison, die alle Rekorde zu brechen scheint. In Anbetracht der noch verbleibenden 81 Jahre in diesem Jahrhundert wäre es aber sehr anmassend, bereits wieder den Superlativ „Jahrhundertsommer“ zu verwenden. Zweifelsfrei, die vergangene Strahlnersaison war stark geprägt von trockener Witterung und insbesondere von einem langen und sehr wetterstabilen Herbst.
Ein Zusammenhang mit dem schneereichen Winter scheint auf den ersten Blick vermessen; gestützt auf meine persönlichen Beobachtungen, bin ich aber der Meinung, dass einem harten, niederschlagsreichen Winter in unseren Breitengraden meist ein stabiler, trockener Sommer folgt. Unser Wetter wird stark beeinflusst vom sogenannten Polarfront-Jetstream, ein sich dynamisch verlagerndes Starkwindband, das mit Windgeschwindigkeiten bis 500 km/h zwischen dem 40. und 60. geographischen Breitengrad um die nördliche Halbkugel weht. Da dieser ganzjährig auftretende Strahlstrom sein Geschwindigkeitsmaximum im Winter erreicht und mit einer Polarfront sogar oft bis zum Boden reichen kann, scheint eine gewisse Kausalität zwischen Winter- und Sommerwetter nicht von der Hand zu weisen.
Wie bereits erwähnt, sorgten die Wintermonate in Höhenlagen ab 2000 m. ü. M. für eine massive Schneedecke, die sich mit dem einsetzenden Frühling nur sehr langsam zurückbildete. Charakteristisch waren zu Beginn des Sommers die stark geriffelten, wellenartig strukturierten Altschneefelder, deren Durchquerung zu Fuss sich als mühsame Angelegenheit entpuppte. Der fehlende Niederschlag im Frühling und die zunehmend starken Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht begünstigten diesen „Büssereis-Effekt“ und sorgten für skurrile Schneeformationen, die erst im Laufe des Sommers abflachten.
Die warme und trockene Witterung im Mai und Juni brachte entgegen der landläufigen Meinung die Schneedecke nur spärlich zum Verschwinden. Wie die Erfahrung zeigt, bewirkt ein abendliches Gewitter oder ein warmer Landregen eine beschleunigte Schneeschmelze. Die klaren Nächte und die damit verbundene starke Abstrahlung liessen den Altschnee jedoch pickelhart gefrieren und zu einer kompakten Masse verfestigen. In dieser Zeit waren aber die Bedingungen für Strahlnerausflüge in den tieferen Lagen optimal. Ob in den Seitentälern des Maderanertals, den steilen Runsen des Reusstals oder den bereits schneefreien Regionen im Urserental: Die Saison wurde vielerorts in Angriff genommen!
Am Eröffnungsfest des Urner Mineralienmuseums in Seedorf wurde bereits von ersten kleineren Funden berichtet. Irgendwie spürte man aber, dass alle darauf warteten, endlich in die fündigen und vielversprechenden Regionen über 2500 m aufzusteigen. Mitte Juli war es dann endlich soweit. Der Schnee war soweit zurückgewichen, dass letztjährige Stellen in Angriff genommen wurden oder diese zumindest vom letzten Altschnee befreit werden konnten. Die verschiedenen Biwakplätze der Strahlner wurden bezogen und da und dort war auch der bewilligte Lärm einer Bohrmaschine zu hören. Mit dem Beginn der Sommerferien stieg auch die Zahl der Strahlner in den jeweiligen Gebieten. Am Tiefengletscher, einem der Brennpunkte der Kristallsucherei, blieb es aber verhältnismässig ruhig. Die neu eingeführte Praxis der Korporation Urseren, das Belegen von maximal zwei Klüften pro Strahlner durch eine detaillierte Meldepflicht zu kontrollieren, schien Wirkung zu zeigen. Diese anfänglich mit Widerwillen zur Kenntnis genommene Vorschrift erwies sich in der Ausführung weniger kompliziert als erwartet. In der Folge wurde nicht mehr jedes kleinste Anzeichen mit dem Farbspray „verschönert“, sondern erst einmal intensiv bearbeitet und bei einem Misserfolg ohne aufgesprühte Signatur und Jahreszahl wieder verlassen.
Leider waren in der Hochsaison auch wieder vereinzelte, patentlose Gelegenheitsstrahlner unterwegs, die auch vor belegten und offiziell gemeldeten Klüften nicht zurückschreckten. So konnte ich in den frühen Abendstunden zweimal Leute beobachten, die scheinbar ohne schlechtes Gewissen, an fremden Klüften tätig waren. Das eine Team, zwei vermeintlich unverdächtige Bergsteiger, die während des Abstiegs vom Tiefenstock in einer belegten Kluft Material in Zeitungspapier einpackten, konnte der benachrichtigte Strahlneraufseher just beim Parkplatz unten anhalten und zur Rede stellen. Da aber kein verdächtiges Material im Rucksack zu finden war (vermutlich wurde diese weiter oben zwischengelagert), mussten der Aufseher und sein Helfer (ein wackerer, aber diesmal unbewaffneter Jägersmann) unverrichteter Dinge wieder die Heimreise antreten. Das stabile Schönwetterfenster zog sich bis in den Herbst hinein. Mindestens am Wochenende der Altdorfer Mineralientage anfangs September hätten die ausstellenden Strahlner wohl gerne zwei Regentage eingezogen. So aber blieb wetterbedingt und nicht zuletzt auch wegen der gleichzeitig stattfindenden Gewerbeausstellung Uri 18 die Besucherfrequenz eher tief.
Ab Mitte September wurde es in den fündigen Strahlnergebieten langsam ruhiger. Viele Hobbystrahlner mussten wieder an ihrem Arbeitsplatz erscheinen und blickten dabei oft wehmütig zum stahlblauen Himmel hoch. Die Bedingungen im Hochgebirge waren nun absolut perfekt. Der Altschnee war komplett verschwunden und die Gletscher zogen sich weiter und weiter zurück. In den Steilwänden aber blieb es lebendig und der abschmelzende Permafrost sorgte an mehreren Orten für Felsabbrüche und Steinschlag. Bei einem der letzten Strahlgänge konnte ich direkt von der niederschlagsarmen Phase im Spätherbst profitieren. In einer Kluft, die normalerweise stets von einem Wasserlauf tangiert wird und daher alles andere als verlockend zum Reinkriechen ist, lagen ein paar gefällige Stufen zum Abtransport bereit. Des Bauern Leid, des Strahlners Freud!
Die Tage wurden immer kürzer und bereits schon waren die versiegenden Bächlein zu kleinen, filigranen Eissäulen erstarrt. An extrem sonnenexponierten Stellen war ein vernünftiges Kristallsuchen noch möglich, die schattigen Nordflanken aber waren bereits beinhart gefroren. Ein Einwintern des Biwaks wurde immer dringlicher, angesichts der weiterhin andauernden Hochdrucklage aber immer wieder hinausgezögert. Im November sorgte dann aber ein erster, heftiger Wintereinbruch, der in Andermatt knapp 20 cm Neuschnee zurückliess, für das definitive Ende der Strahlnersaison 2018. Neue Funde, die man mit den eingangs erwähnten Superlativen versehen könnte, waren mir keine zu Ohren gekommen. Gefunden wurde trotzdem vieles und gutes Material, wie sich an den Börsen des Vorwinters in Bern, Zürich und Basel zeigen sollte. Ein bemerkenswerter Grossfund oder gar ein „Jahrhundert-Fund“ blieb aber aus, wobei … Strahlner sind ja eher eine verschwiegene Spezies!An dieser Stelle wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein erfolgreiches Jahr im Banne der faszinierenden Mineralien und viele erfolgreiche Stunden auf der Suche nach Kristallen. Und wer weiss: Vielleicht wird ja das aktuelle Strahlnerjahr 2019 fundmässig zu einem Jahr der Superlative.