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Saisonrückblick 2011

Die Strahlersaison 2011
Ein persönlicher Rückblick
Bruno Müller

Während ich diese Zeilen in den Computer eintippe, schreiben wir den 31. Dezember 2011. Den ganzen Tag regnete es in Strömen, in den Bergen liegt eine meterhohe Schneedecke und es herrscht aktuell grosse Lawinengefahr - der ideale Rahmen für einen Rückblick auf die vergangene Strahlersaison.
Im vergangenen Winter lag zu keiner Zeit eine solche Schneemenge, wie wir sie nun Ende Dezember 2011 verzeichnen. Zum Schneemangel gesellte sich ein unglaublicher Frühling, der mit durchgehend schönem Wetter und seinen warmen Tagen dem restlichen Weiss sehr rasch den Garaus machte. Viele Alpenpässe wurden rekordverdächtig früh geöffnet und die Skitourensaison endete bereits Ende Mai. Perfekte Bedingungen für uns Strahler, durfte man doch auf gut ausgeaperte Fundregionen hoffen. Ein arger Rückschlag erfolgte aber ausgerechnet im Juli. Viele Strahler wurden durch die massiven Kaltlufteinbrüche auf dem falschen Fuss erwischt. Es muss frustrierend sein, wenn man mit seiner Ferienplanung ausgerechnet die drei Schlechtwetterwochen erwischte.

Ab dem 10. August stellte sich dann wieder stabileres Wetter ein. Nun galt es die Tag zu nutzen. Zusammen mit meinem Bruder Kurt und unserem Neffen Emanuel zog es mich immer wieder zum Rhonegletscher. Bereits letztes Jahr hatten Kurt und Emanuel am Galenstock eine verstürzte Kluft gefunden. Der stets präsente Permafrost verhinderte aber damals eine vernünftige Ausbeute. Bei besseren klimatischen Bedingungen, sprich warmen Hochdrucklagen, liesse sich vielleicht etwas bewerkstelligen. Als erstes startete Emanuel Anfang August einen Angriff und befreite in mühsamer Arbeit die Stelle vom Altschnee. Schon bald stiess er aber wieder auf Eis und musste mit leerem Rucksack, aber reich an Eindrücken heimkehren.

Zwei Wochen später biwakierten Emanuel und ich am Tiefengletscher und versuchten unser Glück am nördlichen Tiefensattel. In der Nähe dieser Lücke, auf der Walliserseite, hatte ich vor Jahren eine ergiebige Stelle bearbeitet, die bei guter Ausaperung vielleicht wieder interessant werden könnte. Als wir nach einem steilen und kräfteraubendem Anstieg durch das mittlerweile komplett ausgeaperte Couloir die Lücke erreichten, meldete sich mein Bruder per Telefon. Er sei am Galenstock und habe bereits eine Ladung Rauchquarzstufen zum Abtransport bereit. Diese Nachricht sorgte bei uns für einen mächtigen Motivationsschub und liess uns die Aufstiegsmühen rasch vergessen.

Von der Lücke stieg ich über ein steiles Eisfeld gegen den Rhonegletscher ab, während Emanuel Richtung Tiefenstock zog. Knapp zweihundert Meter unter der Lücke, am Rande des Eisfeldes, durfte ich schliesslich eine kleine Kluft bearbeiten. Erneut schrillte mein Handy und im Display erschien wieder der Name meines Bruders: Nun brauche er definitiv den Helikopter, meldete er mit riesiger Freude in der Stimme. Er habe knapp unter dem Gipfel des Galenstocks eine 80 kg schwere Morionstufe geborgen. In diesem steilen Gelände, fünf Stunden vom Parkplatz beim Belvédère entfernt, war eine Abtransport dieser schweren Last zu Fuss undenkbar. Da er an der unteren Stelle ebenfalls eine grössere, an der Grenze zur Tragbarkeit liegende, Stufe deponiert hatte, mussten wir uns nun mit logistischen Schwierigkeiten befassen – dies war aber ehrlich gesagt wirklich nur ein Luxusproblem!

Beflügelt von solchen Nachrichten, verzichteten Emanuel und ich auf eine weitere Nacht in den komfortablen Biwakräumlichkeiten der „Villa Erotica“ und stiegen ins Tal ab. Am nächsten Morgen zogen wir schon früh über den Rhonegletscher dem Galenstock entgegen und waren gespannt, wie sich die Lage präsentieren würde. Kurt konnte leider nicht dabei sein. Sein Termin beim Zahnarzt liess sich nicht verschieben und weder Emanuel noch ich wollten freiwillig mit ihm tauschen. Beseelt von Vorfreude schien uns der lange Anstieg über den endlos scheinenden Gletscher völlig mühelos. An der unteren Stelle angelangt, erkannten wir rasch, dass die warmen Tage zuvor deutliche Spuren hinterlassen hatten. Die in einer Rinne liegende Kluft war durch tektonische Verschiebungen senkrecht gestellt. Eine vier Quadratmeter grosse, mit Rauchquarz überzogene Felsplatte, definierten wir als Kluftdecke. Der Kluftinhalt lag im gefrorenen Schutt darunter und musste mit viel Geduld herausgearbeitet werden. Zwanzig Meter weiter oben trafen wir eine fast identische Situation an. Hier war der Schutt zum Glück weniger zusammengefroren.

So stand einer zweistündigen, erfolgreichen Grabarbeit im Stil einer Kartoffelernte nichts im Weg. Emanuel und ich begannen fünf Meter unter der auch hier senkrecht stehenden Kluftdecke mit der Wühlerei, verlegten aber unser Arbeitsplatz noch tiefer, als zahlreiche Rauchquarzstücke zum Vorschein kamen. Bedingt durch das „Ausschütten“ der Kluft waren viele Stufen beschädigt. Diese Bruchstücke mussten in hohem Bogen wegbefördert werden, sonst stiess man beim Weitergraben sicher ein zweites, wenn nicht sogar drittes Mal auf denselben Stein. Trotz der harten Auslese wuchs unser Steindepot kontinuierlich an und musste ab und zu wieder sorgsam verpackt werden. Es waren wirklich glückliche Stunden hoch oben am Berg. Mit schweren Lasten machten wir uns an den heiklen Abstieg und erreichten mit Erleichterung den sicheren Rhonegletscher. Ab hier war der Heimweg nur noch elend weit, aber nicht mehr anspruchsvoll oder gar gefährlich.

Ein paar Tage später konnten Kurt und Emanuel in einer kombinierten Aktion von verschiedenen Standorten aus zwei gefüllte Materialsäcke dem Heli übergeben. Die routinierte Crew der Heli Gotthard flog das Fundgut zum Tätsch ob Tiefenbach, wo der treue Sepp, unser vierter Mann, die Ladung entgegennahm und sicher ins Auto verfrachtete. An diesem Tag musste ich leider wieder arbeiten, tigerte aber vermutlich deutlich nervöser herum als alle beteiligten Akteure am Berg.
Im September konnte ich nochmals für drei Wochen das Büro und die Werkstatt mit der nun deutlich ruhigeren Gebirgswelt tauschen. Zusammen mit Sepp und Christian genoss ich herrliche Tage am Berg. Dank der guten Ausaperung gelangen uns auch immer wieder einzelne, wenn auch kleinere Funde. Was aber schlussendlich im Leben zählt, ist die Zeit, die man mit guten Freunden verbringen kann. In diesem Sinne freue ich mich bereits auf die kommende Strahlersaison. Bei diesen gewaltigen Schneemengen, die uns Frau Holle zur Zeit gerade beschert, wird sie vielleicht ein bisschen später beginnen....