10. Mai 2018
Ulassai Sektor Canyon
Direkt über dem malerischen Dorf Ulassai und perfekt getarnt liegt eine unglaubliche Schlucht, deren Wände sich auf beiden Seiten wunderbar zum Klettern eignen. Vorbei an der Kirche und durch ein paar Gärten wanderten wir an diesem Morgen gemütlich vom Hotel in diesen faszinierenden Canyon hoch. Der Eingang wird durch einen grossen Block versperrt, den man allerdings problemlos unterqueren kann. Dann steht man mitten im Felsparadies und staunt, und staunt...
Die Wände sind steil und sehen auf den ersten Blick etwas kletterfeindlich aus. Beim näheren Betrachten erkennt man dann allerdings die feinen Strukturen, die einen Durchstieg gewähren. Dieser muss aber mehrheitlich hart erkämpft werden, liegt doch das Niveau der meisten Routen im 7. Franzosengrad. Etwas weiter hinten im Canyon verzweigt sich dieser Spalt etwas und eröffnet neue Geländekammern. In solch einem ruhigen Teilbereich liessen wir uns gerne nieder und machten uns für die Kletterei bereit.
Schon bald war das gewohnte Klicken der Karabiner zu hören, ab und zu auch ein "Jütz", wenn das anvisierte Projekt gemeistert werden konnte. Der Fels und die steilen Linien gefielen uns allen ausgezeichnet. Der Routenmix war optimal durchmischt und erlaubte allen Teammitgliedern, den Tag voll auszukosten. Sehr speziell waren auch die eingelagerten Konglomerat-Zonen, die zuerst etwas skeptisch, zunehmend aber immer frecher ins Griff- und Trittrepertoire aufgenommen wurden.
Es war erstaunlich, wie fest die zusammen gebackenen Steine hielten. Bei der einen Route, die von einem grossen Block in der Schlucht sehr gut überblickt werden konnte, hatte man das Gefühl, in einer Felsnische liege loses Geröll. Vor Ort war aber alles bombenfest und nicht der kleinste Steinkrümel konnte bewegt werden. Ein krasses Gestein hat hier die Natur den Sarden geschenkt - man könnte in diesem Bereich fast ein wenig neidisch werden.
Durch die Höhenlage und dank der vielen Wolken blieben die Temperaturen angenehm frisch. Für die feingriffige Kletterei war es somit absolut perfekt. Trotz einem Feiertag war das Gebiet sehr schwach frequentiert. In diesem Labyrinth und angesichts des riesigen Routenangebots würde auch eine grössere Menschenmenge gut verträglich sein. Neben uns waren aber bloss noch drei weitere Seilschaften am Werk. Allfälliges Jammern wäre an diesem Tag auf sehr hohem Niveau erfolgt...
Die riesigen Blöcke in der Schlucht boten sehr gute Standorte für ein entspanntes Beobachten und ambitioniertes Fotografieren. Immer wieder erfolgte auch der Griff zum Seilsack, um diesen unter einer neuen Linie zu platzieren und sich dort ins Zeug zu legen. Wir konnten einfach nicht genug kriegen von diesem schönen Ort.
Irgendwann gegen Abend meldete sich dann doch noch der Hunger und die Lust auf ein kühles Bier war ebenfalls vorhanden. Zeit für den Aufbruch und das Durchwandern des Canyons, dessen perfekte Routen auf dem Rückweg nochmals genau studiert wurden. In diesem verborgenen Felsschlitz könnte man sich wohl mehrere Wochen richtig austoben, allerdings vermisst man ein bisschen die Weitsicht, die wir beim Isola del Tesoro so richtig genossen hatten.
Praktisch alle Routen sind perfekt eingerichtet und bieten eine sagenhafte Vielfalt. Durch die verwinkelten Schluchten entsteht in jedem Teilsektor so etwas wie Privatsphäre und man geniesst die Ruhe abseits vom Strassenlärm. Die über hundert eingebohrten Linien liegen im Bereich 4a bis 8c - es hat damit wohl genügend "Stoff" für Klettersüchtige! Etwas versteckt liegt der relativ neu erschlossene Sektor "Cave of dreams", der alleine über dreissig Routen hergibt.
Mit einem feinen Apero läuteten wir unten im Dorf den gemütlichen Teil ein und diskutierten noch lange über die vielen traumhaften Kletterzüge im versteckten Canyon von Ulassai. Später folgte dann eine feine Pizza in der gut besuchten, da einzigen, Dorfpizzeria. Und die anschliessenden Dolci hatten wir uns schliesslich redlich verdient...