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Handegg

Handegg "Badwannä-Tango" 6b+, 12 SL
Komplettsanierung

Wenn ein Klettersektor "Spiegelwand" genannt wird, lässt sich ein Stück weit erahnen, welcher Kletterstil hier praktiziert wird. Zu Beginn der Achtzigerjahre wurde die Handegg an der Grimselpassstrasse zum Mekka der damaligen Freikletterszene. Hans Howald, Christel Feederle, Beat Hutmacher, Ernst Balsiger und ein paar weitere namhafte Erstbegeher eröffneten mit grossem Engagement und viel Mut eindrückliche Linien in den scheinbar spiegelglatten Gletscherschliffplatten. Persönlich durfte ich am 1. Oktober 1983 - als 17-jähriger Teenager - mit "Herrenpartie", "Zufallsweg" und "Quarzriss" die drei ersten Routen an der Handegg geniessen. Mein Bruder Kurt hatte einen verlängerten Urlaub vom Militärdienst erhalten, was wir umghend für einen erfüllten Klettertag nutzten. Auf der Heimfahrt über den Sustenpass rasierte Kurt mit seinem alten Renault 5 einen Kolonnenstein weg - der massive Granitquader und das Auto waren anschliessend beide abbruchreif. Mit viel Glück stürzten wir im Anschluss an diesen Crash nicht über eine steile Flanke zum Hotel Steingletscher hinab. Da waren doch die Begehungen der damals noch haarsträubend abgesicherten Handegg-Routen mit deutlich weniger Risiko behaftet.

Rund sechs Jahre nach diesem ereignisreichen Tag besuchte ich mit Hans Zgraggen erneut die Spiegelwand an der Handegg. Im Gepäck reisten eine Bohrmaschine und rund sechzig Bohrhaken mit. In diesem verrückten Sommer 1989 bohrten wir fast 90 Mehrseillängenrouten ein und fühlten uns auf den Granitplatten dementsprechend pudelwohl. Links und rechts von der klassischen Herrenpartie zogen wir sehr schnell zwei neue Linien hoch. Am Standplatz reichte uns ein Ringbohrhaken, für die meistens 45 Meter messenden Seillängen im sechsten Grad genügten ein bis zwei Zwischenhaken. Für diese äusserst spärlich angebrachten Sicherungspunkte nutzten wir ganz leichte Cassin-Laschen. In das mit einem 9 mm Bohrer erstellte Loch hämmerten wir eine M10 x 30-Schraube und fixierten damit die Lasche am harten Fels. Es war eine höchst effektive Herangehensweise, aus heutiger Optik betrachtet aber die reinste Kamikaze-Aktion. Bei der 2020 erfolgten Sanierung von "Sohläblitz", der links gelegenen Route aus diesem damaligen Duo, staunte ich über die furchterrregenden, damaligen Hakenabstände.

Genau gleich erging es nun Kurt, als wir am 14. Juni 2023 die Sanierung vom "Badwannä-Tango", der rechts gelegenen Route, in Angriff nahmen. "Da hättest du die Route gleich Solo einrichten können", meinte er lapidar angesichts der wenigen Zwischenhaken. Wir waren damals jung, voller Selbstvertrauen und loteten bewusst die Grenzen der Psyche aus. Tempi passati! Bei der nun erfolgten Sanierung hätte ich mich nie und nimmer getraut, diese Route im Originalzustand zu klettern, selbst wenn da neueste Bohrhakenlaschen glänzen würden. Aktuell steckt nun rund das vier- bis fünffache Material im Berg und die Linie verlangt immer noch etwas Engagement.
Wir starteten für die nun begonnene Sanierung ziemlich früh und nutzten die morgendliche Frische für das Vordringen in den Plattenpanzer. Die Routenfindung war aus den obern erwähnten Gründen nicht immer klar ersichtlich. Erblickten wir aber wieder eine Cassin-Lasche in weiter Ferne, wussten wir uns auf dem richtigen Weg. Tauchte dann ein Ringbohrhaken auf, war dies das Signal für die Montage einer neuen Chromstahl-Standplatte.

Unsere Taktik sah folgendermassen aus: Wir wollten in den ersten 2-3 Seillängen so wenig wie möglich neu bohren, damit wir mit der zur Verfügung stehenden Akkukapazität den oberen Teil fertig einrichten konnten. Bei einem allfälligen 2. Vorstoss müssten wir den ganzen Plunder nur noch über die ersten drei Längen hochschleppen. Der Plan hätte wohl wunderbar funktioniert, wenn wir am vermeintlichen Schlusspunkt der Route nicht noch die Möglichkeit für zwei weitere, vermutlich sehr lohnende Fortsetzungslängen erspäht hätten.
Am 16. Juni 2023 standen wir erneut auf dem Parkplatz des KW Handegg und beobachteten skeptisch die vorbeiziehenden Wolken. Der Regenradar prognostizierte immer wieder kleine Regenzellen, die durch das Haslital ziehen sollten. Voller Optimismus schulterten wir die Rucksäcke und stiegen den wohlbekannten Pfad zum Einstieg hoch.

Wir kletterten reich mit Material befrachtet die neu sanierte "Sohläblitz" empor und gewannen rasch Höhe. Am 6. Standplatz öffnete der Himmel kurz seine Schleusen. In zwei Minuten war die ganze Wand komplett nass. Wir blieben zuversichtlich und warteten eine halbe Stunde, in der die Granitplatten leider nur spärlich trockneten. Kurt fasste sich ein Herz und stieg weiter - konzentriert und tunlichst die grünen Zonen der Wand meidend. Chapeau, wie er sich trotz drohenden Rutschern auf den feuchten Platten hochkämpfte. Mit der Zeit kehrte der sehnlichst vermisste Grip zurück und erlaubte uns die Begehung der Schlüssellänge, welche zugleich auch den finalen Abschnitt der "Sohläblitz" bildet.
Nun querten wir nach rechts zum Endpunkt vom "Badwannä-Tango" und bohrten die zwei anvisierten und wie erhofft sehr schönen Zusatzlängen ein. Das Wetter hielt und erlaubte uns die Fertigstellung bei trockenen Konditionen.
Was jetzt noch fehlte, war die Sanierung der zwei Startlängen. Diesen Job erledigten wir gemütlich im Abseilsitz. Teilweise hatten wir vor zwei Tagen schon ein paar neue Anker gesetzt, waren sonst aber ressourcenschonend unter Benutzung der alten Laschen dort hochgeklettert. Wir ersetzten nun auch diese Relikte mit neuem Material und entfernten den alten Plunder mit ein paar saftigen Hammerschlägen.

Die ursprüngliche 1. Länge liessen wir im alten Zustand. Diese befindet sich direkt im Mündungsbereich der grossen Rinne, wird manchmal von Steinschlag bestrichen und liegt im Vorsommer lange unter einem Schneefeld. Wir empfehlen dringend den Zustieg via der 1. Seillänge vom "Sohläblitz" mit anschliessender, gut machbarer Querung (T4) ca. 30 m nach rechts bis zum ersten Bohrhaken der Marke "Austria Alpin". Hier beginnt der Tango durch die Badewannen. So kann man bereits relativ früh im Jahr die neu sanierte Route geniessen. Das neueste Topo im pdf-Format [1 593 KB] zeigt schön diesen neuen Zustieg.
Der "Badwannä-Tango" ist nun fair abgesichert. Schwere oder gefährliche Stellen haben wir entschärft. Ein sicheres Plattenklettern im Bereich 6a mit Hakenabständen von 4-5 m ist dennoch von Vorteil. Die Bewertung wurde zeitgemäss angepasst und entsprechend angehoben. Abseilen über die Route ist problemlos möglich. Viel Spass beim Baden und Tango-Tanzen.