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Cheselenfluh

Cheselenfluh
"Meteorit-Überholspur-Kombination", 6b+, 6 SL
"Roter Punkt", 6c, 6 SL

Ende August 2023 brachte eine Kaltfront ergiebige Schneefälle über der Dreitausendergrenze. Dieser Umstand zwang uns zu einem Unterbruch der Strahlnertätigkeit. So ganz ungelegen kam uns das gar nicht, konnten wir doch so langsam aufkommende Klettergelüste wieder stillen. Angesicht der weiss gepuderten, höheren Bergregionen wählten wir die Cheselenfluh im Melchtal als Tagesziel. Für meinen Bruder Kurt war dieser beliebte Kletterspot in der Zentralschweiz ein Novum. Meinerseits kannte ich zwar das Gebiet, hatte aber noch ein paar mir unbekannte Linien auf der Liste.

Der dreiviertelstündige Aufstieg von der Stöckalp bis zum Sektor Stepfen brachte den Kreislauf auf die ideale Betriebstemperatur. Trotzdem gingen wir es gemütlich an und fädelten zu Beginn in die Route «Meteorit» ein. Der stark quergebänderte Kalk und die gutmütige Wandneigung auf den zwei Startlängen sorgte für sofortigen Genuss. Die kundenfreundliche Absicherung hielt den Adrenalinspiegel tief, was mit zunehmendem Alter immer mehr geschätzt wird. Etwas Sorgen bereiteten uns einzig die nachsteigenden Seilschaften in Bezug auf das Abseilen. Die mit Steinen übersäten Bänder in diesem Sektor sind wahre Munitionslager für den gefürchteten Steinschlag. Selbst bei allergrösster Vorsicht können sich beim Seilabziehen diese Steine ohne weiteres Zutun lösen und zu gefährlichen Geschossen mutieren.

In der vierten Seillänge wechselten wir in die Route «Überholspur». Gleich zu Beginn erheischt eine brüchige, grobblockige Rinne viel Umsicht, dann aber folgt perfekter Fels. Immer wieder muss weit nach links zur nächsten Leiste gegriffen werden, damit ein Durchstieg nach den «Rotpunktregeln» machbar ist. Weiter oben in dieser endlos scheinenden Länge wird es dann etwas zahmer. Der Fels war nach den intensiven Niederschlägen der Vortage erstaunlich trocken, was auf den zwei letzten Längen in teils marmoriertem Kalk ein gern gesehener Vorteil war. Zufrieden trugen wir uns ins Wandbuch ein und glitten anschliessend am Doppelseil in die Tiefe. Bereits beim ersten Seilabzug trat ein, was ich in den oberen Zeilen beschrieben hatte: Das herunter peitschende Seil brachte einen faustgrossen Stein aus dem labilen Gleichgewicht und schickte ihn in die Tiefe. Zum Glück verlief seine Flugbahn seitlich der Route und endete ohne verheerende Wirkung im Geröllfeld unten.

Nach der problemlos verlaufenden Passage der zwei nachfolgenden, sich im Aufstieg befindlichen Seilschaften konnten wir die weitere Abseilfahrt entspannter angehen. Am Wandfuss unten suchten wir einen geschützten Zniniplatz und stärkten uns für das weitere Tagesprogramm. Mit «Roter Punkt» sollte es nun etwas athletischer und anspruchsvoller werden. Gleich in der Startlänge wartet ein heikler Aufsteher, der den Kletterfluss etwas bremst. Der Rest ist Henkelkletterei der feinsten Art. So macht Klettern enorm viel Spass. Gleich zu Beginn der der zweiten Sequenz, direkt vom Standplatz weg, ist für den Grad 5c+ ordentliches Zupacken nötig. Auch der Rest der ausgedehnten Länge ist nicht geschenkt. Die homogene Schwierigkeit und die vielen Züge an Auflegern fordern Engagement.

Nun mussten wir am Beginn der dritten Länge den Kopf ordentlich in den Nacken legen. Sehr steil, teils leicht überhängend, schwang sich die Fluh über uns in den Himmel. Zuerst waren jedoch ein paar Schritte unangenehmes Queren auf einem schotterigen Band angesagt. Die vertikale Fortsetzung sah anfänglich ebenfalls brüchig aus, was sich aber rasch besserte. Was nun folgte, war ein Feuerwerk an genialen Kletterzügen. Scharfe Leisten, griffige Löcher und der namensgebende rote Kunstgriff waren die Ouvertüre dieses Meisterwerks. Ein kraftraubender Piazriss und ein skurriler Untergriff-Quergang auf einer ansteigenden Rampe bildeten das Crescendo. Erschöpft klinkte ich nach fast fünfzig verrückten Klettermetern meine Selbstsicherung in den Standplatz und musste einen Moment verschnaufen. Das war nun wirklich eine unglaubliche Kletterlänge gewesen.

Die unmittelbare Fortsetzung schien nicht mehr so verlockend. Da zudem die eine Seilschaft in der «Meteorit» die rechte Ausstiegsvariante wählte und somit die zwei Schlusslängen von «Roter Punkt» in Beschlag nahm, fädelten wir die Seile in den Abseilring und glitten zu Boden. Ehrlicherweise spürten wir auch das fehlende Klettertraining, das in der Strahlnersaison immer etwas zu kurz kommt. Wir waren aber mehr als zufrieden mit den gekletterten Metern und freuten uns auf das kühle Bier in der Stöckalp unten. Wir werden aber sicher wieder zurückkommen und «Roter Punkt» komplett zu Ende klettern. Vielen Dank an meinen Bruder für den herrlichen Klettertag im Melchtal.