Cheselenfluh
Cheselenfluh «Technoparty», 6c+, 7 SL
Der Start in diesen Klettertag versprach viel Sonnenschein und Spass, endete aber beinahe in einem Fiasko. Beim Schliessen der Heckklappe klemmte sich Kurt den Zeigefinger ein, woraus eine offene Rissquetschwunde resultierte. Was nun? Ein sofort montiertes Tape stoppte die erste Blutung. Ob mein Bruder mit dieser Wunde auch vernünftig klettern konnte, sollte sich weisen. Gleich schon am Morgen die Flinte ins Korn werfen, wollte wir aber nicht und fuhren hoffnungsvoll durch den Seelisbergtunnel ins Obwaldner Land.
Bei der Anfahrt ins Melchtal schlichen erste Nebelbänke den Alpweiden entlang. Den knapp 45-minütige Zustieg zum Wandfuss durften wir aber noch unter strahlendem Sonnenschein geniessen. Es war extrem «tüppig» und der Schweiss floss in Strömen. Die hohe Luftfeuchtigkeit verhinderte ein rasches Abtrocken der Grasbüschel, die gnadenlos unsere Hosenbeine tränkten. Entsprechend waren wir gespannt, ob wenigstens die Felsen gut abtrocknen konnten. Nach kurzer Beratung wandten wir uns nach links und strebten dem Einstieg der «Technoparty» zu. Die ersten beiden Seillängen waren mir als relativ gemütlich in Erinnerung geblieben – ein guter Test für Kurts Fingerverletzung und die aktuell herrschenden Bedingungen am Fels. Beide Parameter erwiesen sich als ertragbar!
Die Niederschläge der letzten Tage und die bereits erwähnte Luftfeuchtigkeit bescherte uns aber oft einen Griff in nasse Querschlitze. Vorsichtig klettern war die Devise. Immer wieder blickte ich zur 5. Seillänge hoch, die mich schon zweimal wegen triefender Nässe abgewiesen hatte. Heute schien diese Passage, von weitem gesehen, trocken zu sein. In der 3. Seillänge war nun höchste Konzentration gefragt: Die kleingriffige, reibungslastige Plattenquerung ums Eck ist das erste echte Hindernis, welches die laufende «Party» durchaus vermiesen kann. Mit den erworbenen Erfahrungen aus früheren Begehungen wusste ich, wie diese Stelle am effektivsten zu klettern ist.
Gespannt war ich, wie Kurt diese Stelle ohne Vorkenntnisse und mit seinem lädierten Finger meistern würde. Geschickt tänzelte er über die schwierigste Stelle hinweg. Der als «Zwergentod» geltende, weite Zug an den rettenden Griff gelang mit einem beherzten Dynamo. Sehr gut gemacht, Bruderherz. Mit viel Selbstvertrauen kämpfte sich Kurt auch durch die unangenehm feuchte Rissverschneidung der vierten Länge empor. Den Verschneidungsgrund mit seinen nassen Grasbüscheln tunlichst meidend, spreizte er sich durch diese Passagen hoch. Den darauffolgenden, markante Linksquergang unter einem Dächlein entlang, durften wir bei guten - sprich trockenen - Bedingungen absolvieren. Auch die nächste, plattige Länge war trocken, wenn auch da und dort noch Rückstände vom Schmelzwasserfluss den Felsen anhafteten. Der Weg nach oben war definitiv frei!
Der Start in die Schluss- und Schlüssellänge entpuppte sich nochmals als «pièce de résistance»! Die dem ersten Boulderzug folgenden Griffmulden waren alle feucht und damit auch ein wenig glitschig. Voller Bedacht setzte ich meine Kletterzüge. Erleichtert nahm ich wenig später zur Kenntnis, dass sich der obere, nun leicht überhängende Teil zum Glück in deutlich besseren Konditionen präsentierte. Die genialen schwarzen Silexeinschlüsse retteten mich schliesslich auf den letzten Metern zum Stand, wo ich mich mit einem frohen Jauchzer selbstsicherte. Wenige Minuten später war auch Kurt am selben Ort und freute sich über seine persönliche erste Begehung der «Technoparty».
Mit vier Abseilstrecken erreichten wir wieder den Boden und gönnten uns dort einen verdienten Schnupf. Wie weiter? Bei der Wahl der nächsten Route schwankten wir zwischen «Blauer Käfer» und «Kontinuum», beide komplettes Neuland für Kurt. Da letztere Linie auch mir unbekannt war, fiel der Entscheid klar aus.
Cheselenfluh «Kontinuum» 6c+, 7 SL
Ein Kontinuum bezeichnet etwas, was ununterbrochen aufeinanderfolgt. In der Physik ist eine Größe dann kontinuierlich, wenn mit jedem möglichen Wert auch alle Werte in einer genügend kleinen Umgebung möglich sind. Solch eine Wertemenge heißt Kontinuum. Waren es die Schwierigkeiten oder die anhaltend schöne Kletterei, welche die Erstbegeher Walter Britschgi, Stefan Degelo und Regula Furrer zu dieser Namensgebung inspirierte? Bezüglich Schwierigkeit wird gleich auf den ersten Metern der Tarif deklariert. Seichte Löcher und nur wenige Trittmöglichkeiten fordern viel Körperspannung und ein gutes Auge für den gangbaren Weg. Die noch immer vorherrschende Feuchtigkeit – der Nebel begleitete uns nun seit Stunden – machte die Sache nicht einfacher.
Der letzte Bohrhaken vor dem Stand war vermutlich durch Steinschlag plattgedrückt, was mich zu einem Runout zwang. Zum Glück ist das Gelände hier wieder deutlich einfacher als auf den ersten 15 Metern.
Erholsamer war auch die zweite Länge, in der man an griffigen Querschlitzen höher steigt. Ein interessanter Linksquergang brachte Kurt schliesslich zum Standplatz unter der steilen Headwall. Dieser Stand ist identisch mit jenem der Route «Roter Punkt». Das Teil über uns sah nun wirklich «stotzig aus. Im Gegensatz zu «Roter Punkt», welche diesen Riegel in einer einzigen Seillänge überwindet, gewährt «Kontinuum» in halber Höhe eine Erholung am Standplatz.
An grossen Henkeln ging es nach den ersten splittrigen Metern gleich deftig los. Die Griffe geizten mit zunehmender Steilheit leider auch mit der Auflagefläche, waren aber immer noch «positiv» ausgerichtet. Just dort, wo die Wand sich in die Senkrechte «zurücklegt», zeigte sich der Fels kompakter. Jetzt waren es wieder seichte Querschlitze, die weiterhalfen. Eine wirklich fantastische, sehr anspruchsvolle Seillänge, der man durchaus eine 7a geben dürfte! Im Vergleich mit der Schlüssellänge der «Technoparty» war dies ein ganz anderes Kaliber. Kurt folgte begeistert nach und äusserte sich in ähnlichem Ton.
Wie der Routenname verspricht, ging es kontinuierlich schwierig weiter Die ersten Meter vom Stand weg entpuppten sich zwar noch als gut kletterbar, dann aber war wieder höchste Konzentration gefragt. Ein Rechtsquergang mit einem weiten Zug an eine Schuppe brachte mich scheinbar in leichteres Gelände. Der Schein aber trügt! Die letzten Meter in kompaktem Fels, insbesondere ein hoher Aufsteher an einer fixierten Schuppe forderten nochmals vollen Einsatz. Erleichtert klinkte ich mich an die Standkette, die wieder identisch mit der Route «Roter Punkt» ist. Das war nun erneut eine geniale Kletterpassage gewesen.
Als Kurt sich nach ebenfalls hartem Kampf bei mir am Standplatz eingenistet hatte, beratschlagten wir das weitere Vorgehen. Angesichts der angekündigten Regenschauer in der folgenden Stunde und in Anbetracht seiner doch partiell störenden Fingerverletzung, fädelten wir die Seile in den Abseilring und glitten zu Boden. Wir werden aber sicher wieder zurückkehren und den Rest der Route klettern.
Vielen Dank dem Erschliesser-Team für diese geniale Kletterlinie. Ein Chapeau an meinen Bruder, der sich trotz seiner Blessur wacker geschlagen hatte. So macht es Spass!