Grimselfluh "Sagittarius"
Grimselfluh "Sagittarius", 6b, 13 SL
Voller Optimismus fuhren wir mit dem Ziel einer genussvollen Granittour ins Urner Oberland. Im Urserntal bremste der den umliegenden Gipfeln entlang ziehende Nebel und die Temperaturanzeige bereits schon etwas unsere Vorfreude. Beim Hotel Tiefenbach entschieden wir uns schliesslich für eine Situations-Analyse bei Kaffee und heisser Schokolade. Dichter Nebel und feuchtichkeitsgeschwängerte Luft - wahrlich keine idealen Voraussetzungen für eine Tour rund um den Furkapass.
Frisch gestärkt und die Nase gut gefüllt mit den ersten Prisen Schnupftabak fuhren wir schliesslich über den Furkapass rüber nach Gletsch und weiter über den Grimselpass ins Haslital. Wir wollten mal schauen, ob eventuell die Mittagsfluh frei von Nebel war und einen vernünftigen Kletterversuch erlaubte.
Bei der Fahrt runter zum Räterichsbodensee blinzelte bereits die Sonne durch die Nebelschwaden, was uns schliesslich beim Parkplatz Chüenzentenneln stoppen liess. Richi empfahl uns wärmstens die Route "Sagittarius", die 13 Seillängen genussvolle Granitkletterei versprach.
Da weder Sabine, Beat noch ich die Tour kannten, waren wir natürlich sofort mit diesem verlockenden Vorschlag einverstanden und stiegen schon bald die knapp zwanzig Minuten zum Einstieg hoch. Über ein schräges Grasband, gespickt mit Altschneeresten, erreichten wir einen geräumigen Platz am Beginn der Route, deren Verlauf durch zwei schon agierende Seilschaften gekennzeichnet wurde.
Scheinbar ist die Route beliebt und wird auch bei weniger idealen Bedingungen häufig geklettert. Auf den ersten paar Seillängen wurde mir auch klar, warum dies wohl so ist: Den eisenfesten und erstaunlich strukturierten Grimselgranit kannte ich ja schon. In der "Sagittarius" kam nun noch eine voll auf Kommerz ausgerichtete Absicherung mit soliden Bohrhaken hinzu. Wahrlich eine optimale Mischung für einen beliebten Klassiker.
Dank der bei jeder schwierigen Stelle eng steckenden Bohrhaken schwindelt sich wohl auch der eine oder andere Aspirant über die Route hoch. Es lohnt sich aber auch, bietet die "Sagittarius" doch ein paar wirklich genussvolle Seillängen. Da findet man in der 3. Seillänge zum Beispiel die Kusiplatte, ein glattgeschliffener, 3m hoher "Spiegel". Mit sauberem Stehen auf den etwas rauheren Dellen und intaktem Gleichgewichtssinn ist diese Stelle direkt gut zu lösen; leichter gehts mit Hilfe einer Rissspur rechts oben.
Die "schwarze Kante" in der 6. Seillänge kann dank dem gezackten Riss, der für die linke Hand genug "Griff-Futter" bietet, elegant gelöst werden. Die folgende Sequenz, der "30-Meter-Riss", wurde leider in frevelhafter Manier komplett zugebohrt. Schade um den perfekten Riss, den selbst jemand, der zum ersten Mal einen "Friend" in Händen hält, problemlos absichern kann. Weniger ist manchmal mehr...
Nun folgt die eigentliche Schlüsselstelle: Der trittarme Quergang unter dem "Tomsdach" und die folgende Plattenpassage ist für Granitspezialisten wohl eher ein vergnüglicher Spaziergang. Wer sich diese Art Kletterei aber nicht gewohnt ist, wird hier gerne zum helfenden Metall greifen und sich "mit Silberfarbe an den Schuhsohlen" als Technofreak outen. Weiter oben wird die Kletterei eher "grimsel-untypisch" und verläuft an vertikalen Schuppen und Kanten, die ein erstaunlich vielfältiges Hochsteigen erlauben.
Der aufkommende, kalte Wind und die erneut aufziehenden Nebelschwaden sorgten für ein eher kühles Klima. So waren wir froh, endlich den höchsten Punkt der Route erreicht zu haben und schon bald den Seilen entlang wieder in wärmere Gefielde runter zu rauschen. Beim letzten Abseilmanöver - Sabine und ich fädelten grad die Seile in den Abseilring - liess uns ein Zischen hochschrecken.
Im selben Moment wurde Sabine von einem Stein am Oberarm getroffen. Weit über unseren Köpfen war dieses Geschoss von einer anderen Seilschaft wohl gelöst worden und verhalf Sabine nun zu einer schmerzhaften "Tomate", die sich im Laufe der nächsten Stunden zu einer veritablen Schwellung entwickelte. Das Steinschlagrisiko darf in dieser Route also keineswegs vernachlässigt werden.
Ebenso zu beachten gilt es den Altschnee auf dem Zustiegsband: Während unserer Kletterei war ein grosses Stück der weisen Materie abgebrochen und über den schmalen Weg gerauscht. Im falschen Moment am falschen Ort, und wir wäre alle vier über die darunter liegende Platte ins Verderben gerissen worden.
Vielen Dank an Richi, Beat und Sabine für den genussvollen Klettertag.