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Das grosse Quarzband

Das grosse Quarzband im äusseren Teufelstal
Bruno Müller

Das geheimnisvolle schwarze Loch
Nach einer spannenden und anstrengenden Klettertour durch die steile Begrenzungswand des Inner Teufelstal sassen wir auf der ebenen, von Föhren durchwachsenen Hochebene und lüfteten unsere arg strapazierten Zehen aus. Die zauberhafte Aussicht zum Salbitschijen und eine wohldosierte Prise aus der mitgeführte Büchse Schnuptfabak senkten rasch den Adrenalinspiegel und sorgten für eine euphorische Stimmung. Wir streiften noch ein wenig umher und erblickten dabei auf der gegenüberliegenden Talseite, hoch über dem Ausseren Teufelstal, ein verdächtiges, kreisrundes Loch. Wohl ein Zeugnis der ehemaligen Reduit-Strategie und einer der unzähligen Bunker und Stollen, die das Militär im Gotthardgebiet erstellen liess, war mein erster Gedanke. In den folgenden Tagen geisterte dieses Bild immer wieder durch meinen Kopf und liess mir keine Ruhe. In der Höhe lag noch viel Schnee und erlaubte keine vernünftigen Strahlnertouren. Warum also nicht einmal die oberen Täler der Schöllenen durchstreifen und dabei diesem Relikt aus dem letzten Jahrhundert einen Besuch abstatten? Nach eingehendem Kartenstudium hatte ich eine Tour zusammengestellt, die mich über die Heuegg zu diesem verdächtigen und zunehmend interessanten schwarzen Loch führen sollte. Dass ich dabei auch nach Anzeichen von Kristallen suchen wollte, liegt auf der Hand. Womit ich weniger gerechnet hatte, war das teils undurchdringliche Dickicht der Föhren und Alpenrosenstauden, die ihre Spuren auf Unterarmen und Wadenbeinen hinterliessen. Nach meinem ganz persönlichen Dschungelkrieg in der Kampfzone der Heuegg stand ich endlich vor der vermeintlichen Ruine aus dunklen Zeiten der europäischen Geschichte. Vor Ort aber war nichts zu entdecken, was nur im Ansatz mit Militär und Festungsbau im Zusammenhang steht. Ich blickte in die Öffnung einer grossen Kristallkluft. Das dazugehörige und mit üppiger Vegetation überwucherte Quarzband ist fast vierzig Meter weit zu verfolgen und hat an seiner höchsten Stelle gut zwei Meter Mächtigkeit. An drei Stellen wurde seinerzeit ein Angriff gestartet, der in den vermuteten Hohlraum führen sollte. Im Eingangsbereich des grössten Stollens konnte ich problemlos aufrecht stehen. Zu meiner Verblüffung erblickte ich eine gut erhaltene Holzbank und eine Bauschaufel, deren blaue Farbe noch nicht abgeblättert war. Nach dem geräumigen Eingangsbereich, der ca. 10 Meter in das mit derbem Quarz gebildete Band hineinzieht, verjüngt sich der Stollen und führt weitere 10 Meter in den Berg. Das fast durchgehend gleichbleibende Profil in diesem Abschnitt, die gut erkennbaren Bohrlöcher und die Beschaffenheit der Stollenwände deuten darauf hin, dass die damaligen Strahlner den ersehnten Hohlraum wohl nicht entdeckten. Auch die zwei anderen, deutlich kürzeren Vortriebsstollen lassen auf einen Misserfolg schliessen. Im Kluftschutt konnte ich einige derbe Brocken finden, die zwar Kristallisationsflächen aufweisen, aber weit entfernt von einer Kristallspitze sind.

Die Suche nach Erklärungen
Zahlreiche Fragen purzelten durch meinen Kopf: Wer hatte hier einen so grossen Aufwand betrieben? Wann wurde an dieser Stelle so intensiv gebohrt und gesprengt? Wieso waren die Holzbank und die gefundene Schaufel noch so gut erhalten? Wurden überhaupt Quarzkristalle gefunden? Liegt das Quarzband überhaupt richtig oder ist der auskristallisierte Hohlraum nicht bereits schon vor Urzeiten wegerodiert? Ich verbrachte an diesem speziellen Ort noch viel Zeit, betrachtete alles sehr genau und schoss viele Bilder zur Dokumentation. Noch vor Ort reifte der Entschluss, über diese Stelle einen Bericht im Mineralienfreund zu schreiben. Zu diesem Zweck mussten aber noch mehr Informationen beschafft werden. Als Informant erster Wahl kam mir spontan Peter Indergand von Andermatt in den Sinn. War vielleicht sein Vater, der Finder der grossen Rauchquarzstufe vom Tiefengletscher, an dieser Stelle tätig gewesen? Waren eventuell sogar Belegstücke dieser Kluft im Besitz von Peter Indergand? Das wenige Tage später erfolgte Telefonat mit Peter brachte aber keine neuen Erkenntnisse. Der stets sehr gut informierte Strahlner und Mineralienkenner hatte zwar die Stelle selber schon besucht, wusste aber auch nicht, wer dort oben seine unverkennbaren Spuren hinterlassen hatte. Einige Monate später traf ich per Zufall Ernst Zgraggen von Göschenen, der viele Jahre seine Schafe auf der Rientalalp und damit in der Nähe der geheimnisvollen Kluft gesömmert hatte. Auch er konnte keine weiteren Informationen liefern, äusserte aber die Vermutung, dass dort vielleicht kommerziell Quarz abgebaut worden war. In den mageren Kriegsjahren war Quarz als Rohstoff sehr begehrt und wurde gemäss Überlieferung auch von diversen Urner Strahlern abgebaut und an die damaligen Produzenten verkauft.

Die industrielle Nutzung von Quarz
Quarzglas hat noch heute eine industrielle Bedeutung. Es besteht aus mindestens 99% reinem Siliziumdioxid (SiO2), das ohne weitere Zusatzstoffe bei hohen Verarbeitungstemperaturen von bis zu 1700 °C produziert wird. Die Entwicklung von Quarzglas geht auf den deutschen Physiker Richard Küch (1860–1915) zurück. Er entdeckte 1899, dass Bergkristall in einer Knallgasflamme blasenfrei und in höchster Reinheit geschmolzen werden kann, und machte Quarzglas für die Industrie als Massenprodukt verwendbar. Als Rohstoff wird meist natürlich gewachsener kristalliner Quarz verwendet. Während früher Bergkristalle eingeschmolzen wurden, gewinnt man inzwischen hochreinen Quarz im Berg- oder Tagebau aus Granit- oder Pegmatitvorkommen. Anstelle von natürlichem Quarz werden auch synthetische Siliziumverbindungen als Ausgangsmaterial verwendet. Quarzglas ist ein Einkomponentenglas und gehört zu den reinsten Materialien, die derzeit überhaupt zur Verfügung stehen. Es erfüllt eine Reihe ganz besonderer Eigenschaften, die bei keinem anderen Werkstoff gegeben sind. So ist Quarzglas mit einer Dicke von 100 m immer noch genauso transparent wie eine Fensterscheibe und es hat eine Einsatztemperatur von bis zu 1100 °C sowie einen 20-mal geringeren thermischen Ausdehnungskoeffizienten als normale Gläser. Grosse chemische Reinheit und Beständigkeit, hohe Erweichungstemperatur und Temperaturbeständigkeit, niedrige thermische Ausdehnung bei hoher Temperaturwechselbeständigkeit, hohe Transparenz vom ultravioletten bis zum infraroten Spektralbereich und hohe Strahlungsbeständigkeit machen den Werkstoff Quarzglas unverzichtbar bei der Herstellung von High-Tech-Produkten. Entsprechend gibt es unzählige technische Anwendungsgebiete für diesen Werkstoff: Apparatebau für Analytik und die Chemische Industrie, Anlagen für die Wasseraufbereitung, Glas für Leuchtmittel, Optik und Elektrotechnik, Lichtleiter, Herstellung von Tiegeln für die Kristallzucht, Computerprozessoren und Chips.

Zu feinem Sand gemahlen, lassen sich die Quarzkristalle in verschiedenen Verfahren (Floating- und Säureprozesse) heraustrennen und reinigen. Den hohen Anforderungen an die Reinheit des Quarzes genügen weltweit nur wenige Rohstoffminen. Der überwiegende Anteil des hochwertigen natürlichen Quarzsandes kommt aus einer Mine in North Carolina (USA). Aus Quarzsand hergestelltes Glas wird natürliches Quarzglas genannt. Bei der Herstellung von Quarzglas werden verschiedene Schmelzverfahren angewendet, z. B. das Schmelzen mittels einer Wasserstoff-Sauerstoffflamme (Knallgasflamme), das elektrische Schmelzen im Licht- und Plasmabogenverfahren oder das Aufschmelzen mittels eines Trägergases. Die Verarbeitungstemperatur von Quarzglas ist teilweise höher als 1700 °C und somit deutlich höher als bei den meisten anderen Glasarten. Wenn das Glas nach dem Schmelzen weiter erhitzt wird, setzt relativ rasch ein Verdampfungsprozess ein. Die hohen Schmelztemperaturen stellen grosse Anforderungen an die Produktionsanlagen: Diese müssen entsprechend hitzebeständig sein und dürfen das hochreine Material nicht verunreinigen. So finden die Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse teilweise auch in einer Schutzgasatmosphäre statt. Im Gegensatz zum natürlichen Quarzglas werden auch synthetische Siliziumverbindungen als Ausgangsmaterial verwendet. Das gezüchtete Glas gehört zu den reinsten Materialien, die derzeit überhaupt herstellbar sind, und wird vorwiegend in der optischen Industrie verwendet.

Viele Fragen im Zusammenhang mit der Kluft im äusseren Teufelstal bleiben bis heute unbeantwortet. Für weitere Informationen bin ich sehr dankbar und kann vielleicht damit etwas Licht in dieses geheimnisvolle dunkle Loch hoch über der Schöllenenschlucht bringen.