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Glatten "Kopflos"

Chli Glatten "Kopflos", 6b, 6 SL
An diesem sonnigen Freitag musste mein Kletterpartner Beat in den Morgenstunden noch wichtige Geschäftstermine wahrnehmen. Daher starteten wir erst um 12:30 Uhr in Schattdorf und düsten auf direktem Weg ins Schächental. Bereits in den Kehren von Bürglen war unser Kletterziel ausdiskutiert: Die Route "Kopflos" am Chli Glatten, direkt über dem Klausenpass, sollte uns einen vergnüglichen Nachmittag bescheren. Etwas skeptisch waren wir in Bezug auf die zu erwartende Windstärke in den höheren Lagen. Die sich am Himmel deutlich abzeichnenden "Linsenwolken" oder "Föhnfische" verhiessen eine wohl eher turbulente Geschichte.

Bei der aktuell verwaisten Alp Bödmer parkierten wir unser Vehikel und schulterten unsere Rucksäcke. Vereinzelte kräftige Windböen wirbelten um die grossen Blöcke, dazwischen herrschte wieder angenehme Flaute. Den Einstieg der Route «Kopflos» erreichten wir mit einer weit ausholenden Schlaufe in Richtung «Südpfeiler» und dem anschliessenden, ostwärts gerichteten, Quergang der Wandbasis entlang. So vermieden wir das mühsame Steigen durch das lose Geröll und konnten dabei noch die verschiedenen Routeneinstiege inspizieren. Bei einem selbstgebastelten Bohrhaken (Winkellasche mit den Initialen F.G.) startet rechtshaltend - eine markante Verschneidung anpeilend - die alte «Kopfroute» von Hans Kempf und Sigi Bachmann (1978). Leicht linkshaltend und mit schön glänzenden «Bächli-Laschen» bestückt, verläuft ab diesem Startpunkt die neue Route «Kopflos» von Ruth Fenn und Stefan Geisser (2014).

Der zweite Bohrhaken ist vom Einstieg nicht gut erkennbar, beim Klettern kommt man aber zwangsläufig an diesem «Silberling» vorbei. Die Startseillänge (6b) ist gleich das Eintrittsticket für die ganze Route und überrascht mit festen, freundlich gestuften Felsformationen und lohnenden Kletterzügen. Ein etwas steilerer Wandabschnitt nach ca. 15 Metern Querleistenkletterei bildet das Herzstück dieser Länge und kann dank einem massiven Untergriff auch gut entschlüsselt werden. Der obere Teil ähnelt wieder dem Einstiegsbereich. Mit Hilfe von rauen, griffigen Leisten und einem unvermeidlichen «Biss ins Gras» erreicht man schliesslich die zwei soliden Standhaken über einem bequemen Felsbändchen.

In der zweiten Länge (6a+) muss Beat gleich zu Beginn etwas fein hinstehen, bis er die rettende Leiste erwischt. Auch die folgenden, sehr genussvollen Meter sind nicht ohne Anspruch. Insgesamt erschien mir die zweite Länge betreff der technischen Anforderungen absolut ebenbürtig mit der Startsequenz. Sind es dort eher zwei kurze Einzelstellen, die für den Grad 6b sprechen, präsentiert sich der zweite, deutlich längere Abschnitt konstant im Bereich 6a / 6a+. Nur wenig Höhe gewinnt man in der 3. Seillänge (6a+), muss doch zuerst horizontal weit nach rechts gequert werden. Der wieder in vertikaler Linienführung anzusteuernde kleine Dachaufschwung und der abschliessende Platten-Runout sorgen für die nötige Würze in dieser Länge. Beat durfte nun in bestem Kalk durch die 4. Seillänge (6b) führen. Mit Spreizen und geschickter Gewichtsverlagerung überwand er scheinbar mühelos diesen steilen, bestens abgesicherten Wandteil und verschwand am Ende einer Verschneidung aus meinem Blickfeld.

Rasch durfte ich nachfolgen und diese herrlichen Klettermeter selber geniessen. Inzwischen hatte der Föhn an Intensität zugenommen und versuchte uns mit seinen wilden Böen vom Berg zu schütteln. In der griffigen Verschneidung der 5. Länge (5a) und erstaunlicherweise auch beim geräumigen Standplatz auf dem markanten Pfeilerkopf war ich wieder etwas geschützt vor dem unbarmherzigen Gesellen. Vermutlich stand ich dort genau im Lee des Pfeilers, was ich dankbar zur Kenntnis nahm. Beat musste in der Schlusslänge (6a) wieder ins ungeschützte, windgepeitschte Terrain hinausklettern. Vom Kettenstand erblickt man direkt über sich in ca. 12 Meter Höhe einen Normalhaken am Beginn einer blockigen Verschneidung. Das ist der falsche Weg!

Die Route quert zuerst auf einer kleinen Rampe rechts hoch zu einem versteckten Schlaghaken, dem wenig später der erste Bächli-Bohrhaken folgt. Weiter rechts davon stecken ebenfalls Bohrhaken anderer Bauart von einer mir leider unbekannten Route. Nach dem erwähnten, ersten Schlaghaken geht es mehr oder weniger in direkter Linie hoch, wobei zwischen dem zweiten und dritten Bohrhaken ein etwas sportlicher Abstand in Kauf genommen werden muss. Hier könnte man aber mit mobilen Sicherungsmitteln dem leicht erhöhten Adrenalinausstoss etwas Gegensteuer geben. Der Rest bis zum Wandbuch bietet nochmals genussvolle Kletterzüge und eine finale, steile Plattenstelle. Angesichts der starken Windstösse sparten wir uns die obligate Dosis Schnupf für später auf, beschränkten uns auf einen Handschlag und fädelten die Seile in den soliden Kettenstand. Beim Seilabziehen galt erhöhte Vorsicht, da in der blockigen Verschneidung ein paar kopfgrosse Quader auf «Messers Schneide» liegen und durch einen Peitschenhieb der herabsausenden Seile gelöst werden könnten.

Die restlichen Abseilmanöver erfolgten durch die grosse Verschneidung rechts der Route und in direkter Linie über steilere Wandstufen und grosse Grasbänder. Schmunzeln musste ich schliesslich nach erfolgreicher Abseilfahrt am Wandfuss unten: Beat stand dort in einer Felsnische und meinte lakonisch: «Hier sind wir gut geschützt!» «Sehr gut» entgegnete ich und zog hoffnungsvoll die Schnupfdose aus dem Hosensack. «Vor dem möglichen Steinschlag beim Seilabziehen geschützt, nicht vor dem störenden Wind beim Schnupfen» erwiderte Beat trocken, hielt aber trotzdem brav seinen Handrücken hin.
Die Route «Kopflos» ist eine erstaunlich homogene, lohnende und sehr gut abgesicherte Route. Sie nutzt in keineswegs «kopfloser» Manier die besten Felspartien in diesem Wandsektor und führt in einer raffinierten Linie auf den markanten Kopf des Chli Glatten. Mit 12 Expressen und einem 50 m Doppelseil ist man materialmässig voll dabei. Kleinere Cams könnten wohl ergänzend ab und zu gelegt werden. Die Abseilpiste ist mit soliden Kettenständen eingerichtet und problemlos zu finden. Besten Dank dem Erstbegehungsteam Ruth Fenn und Stefan Geisser für die gelungene Projektausführung. Herzlichen Dank an Beat für den genussvollen Kletternachmittag. Mit dir im Fels läuft es einfach rund!

(Leider habe ich kein besseres Routenfoto zur Hand)


Noch zwei Zitate zur Kopflosigkeit:

Kopflosigkeit ist, wenn du dich an den Kopf fassen willst, aber ins Leere greifst.
(Fritz-J. Schaarschuh)

Eigenartigerweise wollen immer wieder kopflos gewordene Leute mit dem Kopf durch die Wand.
(André Brie)