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Nebelmond

Bergseeschijen Ostwand
"Nebelmond" 6b, 13 SL
Komplettsanierung

Im Jahr 1989 begleitete mich der unermüdliche Hans Zgraggen auf den zahlreichen Serpentinen zur Bergseehütte hoch. In unseren Rucksäcken schleppten wir eine Bohrmaschine, ein Bündel Bohrhaken und ein Sortiment Schlaghaken mit. Wir steuerten den tiefsten Punkt der imposanten Bergseeschijen-Ostwand an und seilten uns dort stillschweigend an. Unser Ziel war die Erstbegehung einer neuen Route durch einen unberührten Wandabschnitt rechts vom SE-Pfeiler. Weiter oben wollten wir mit der neuen Linie in den Südgrat einmünden und so zum Gipfel gelangen. Der gelungene Auftakt über einen kletterfreundlichen Vorbau-Pfeiler stimmte uns optimistisch. Die Fortsetzung durch ein Riss- und Verschneidungssystem drängte sich offensichtlich auf. In der dritten Länge bremste uns kurz eine kleingriffige, senkrechte Plattenstelle. Darüber sah es aber weiterhin gut kletterbar aus.

Mehr Kopfzerbrechen bereitete uns damals ein dunkler Dachriegel in der 6. Länge. Links davon fanden Franz Anderrüthi und Kurt Grüter mit dem SE-Pfeiler einen gangbaren Weg an diesem Dach vorbei. Wir blieben mit unserer neuen Route rechts davon. Dank den von unten nicht sichtbaren Leisten und griffigen Schuppen löste sich dieses Problem erstaunlich gnädig auf. Nun kreuzten wir den SE-Pfeiler, der nach der Schüsselstelle weit rechts ausholt und folgten in direkter Linie einem gutmütigen System von Schuppen und Rissen. Nach insgesamt 9 frisch eröffneten Seillängen erreichten wir jenen Punkt, wo heute verschiedene Routen (SE-Pfeiler, Via Esther, Tonis Lust) kanalisiert werden und auf den Südgrat treffen. Die längste Route am Bergeseeschijen war realisiert und wurde von uns "Nebelmond" getauft. Die (wohl zu) spärliche Absicherung hielt den Ansturm in engen Grenzen. Später verwaiste die Linie und wurde wohl rund 25 Jahre lang nicht mehr geklettert.

"Der absolut logische Einstieg am tiefsten Punkt der Ostwand, ein über weite Strecken perfekter Fels und die herrlichen Schuppen im oberen Wandteil verdienen eine Renovation dieser Route", sagten Kurt und ich zueinader, als wir uns mit der Idee einer Sanierung herum schlugen. Gegen Ende Juni 2023 fassten wir uns ein Herz und schulterten das benötigte Material zum Einstieg hoch. Als wollte die Route ihrem Namen alle Ehre erweisen, schlich an diesem Tag ein zäher Nebel durch die Wand. Wir bohrten in sehr kundenfreundlichen Abständen neue Anker in den Fels, stets auf der Suche nach den alten Relikten der Erstbegehung. Da und dort begrüsste uns ein Grasbüschel oder ein loser Stein. Die Kletterei selber aber sorgte für gute Stimmung. Uns war bewusst, dass wir gleichzeitig mit der Neubestückung durch solide Bohrhaken auch eine Reinigung der Route durchführen wollten.

Nach sieben Seillängen und knapp sechzig versenkten Schlagankern waren Akkukapazität und Materialressourcen gleichermassen erschöpft. Wir waren mit dem Ergebnis mehr als zufrieden! In einem zweiten Anlauf wollten wir nun die restlichen zwei Längen neu einrichten und anschliessend die geplanten Putzarbeiten ausführen. Am 3. Juli 2023 standen wir erneut wieder am Einstieg. Als ständiger Begleiter an diesem Tag gesellten sich ebenfalls wieder zähe Nebelschwaden zu uns. Wir deponierten einen Rucksack am Wandfuss, montierten sämtliches Material am Klettergurt und stiegen weiter hoch zum Beginn des SE-Pfeilers. Über diesen erreichten wir in einer guten Stunde den in der Vorwoche erreichten Umkehrpunkt. Diesmal übernahm Kurt den Lead und turnte fröhlich an den griffigen Schuppen hoch. In welch blendender Verfassung er unterwegs war, stellte ich im Nachstieg fest: An zwei Stellen markierte ich mit Magnesia Punkte, an denen wir beim Abseilen zwei zusätzliche Bohrhaken anbringen wollten.

Wie erwartet waren diese zwei Längen sehr lohnend - ein Umstand der unseren Sanierungsentscheid nochmals stärkte. Dann begann die kombinierte Abseil- und Putzarbeit, der wir intensiv Zeit widmeten. Wir setzten an kritischen Stellen nochmals zusätzliche Haken und reinigten die Risse von störender Vegetation. In der vierten Länge vernahmen wir plötzlich energische Hilferufe unter uns! Hatte sich ein Wanderer auf dem Weg von der Voralphütte zur Begseehütte verletzt? Als ich abseilend über eine Kante glitt, traute ich meinen Augen kaum. Da standen zwei Kletterer am dritten Standplatz und duckten sich in ihre Deckung. Verdammt! Da wurde "Nebelmond" mehr als 20 Jahre nicht mehr geklettert und ausgerechnet an unserem Putztag verirrte sich eine Seilschaft in die Route. Wir entschuldigten uns schuldbewusst bei den zwei Bayern, erklärten den Sachverhalt und empfahlen ihnen den Rückzug. Ohne ständigen Beschuss von oben durch Graspolster, Humus und die darin enthaltenen Steinchen konnten sie nun erleichtert zu Boden gleiten und sich in Sicherheit bringen. Die beiden wollten ursprünglich den SE-Pfeiler klettern, verfehlten bei weitem den Einstieg und folgten daher den glänzenden neuen Bohrhaken von "Nebelmond". In der Nische des dritten Standplatzes konnten wir sie von oben unmöglich erkennen. So verharrten sie unter ständigem "friendly fire" rund eine Stunde an diesem Ort, bis wir endlich ihre Höhe abseilend erreichten. Eine verrückte Geschichte!

Die Route "Nebelmond" ist nun mit rund sechzig Zwischenbohrhaken und neuen Standplätzen sehr gut eingerichtet. Ein Topo mit Routenbeschrieb [5 252 KB] kann hier als pdf-file geladen werden. Nach ein paar Regengüssen sollten die feinen Humusrückstände komplett abgewaschen sein. Die Route haben wir neu mit 6b bewertet, wobei dies nur eine kurze Wandstelle betrifft, die wir mit 3 Haken in kurzen Abständen zugänglich eingerichtet haben. Der grosse Rest bewegt sich im Genussbereich von 5c - 6a. Obligatorisch ist eine 6a zu meistern. Tausend Dank an meinen Bruder für die zwei sehr ereignisreichen und intensiven Tage am Bergseeschijen!