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Schmalstöckli

Schmalstöckli
«SFS» 6b+, 5 SL
«Via Tanja» 6b, 4 SL
«Upat 91» 6b, 3 SL
«Bird on a wire» 6c, 5 SL
«Papillon» 7b, 5 SL
Ein langer Klettertag am Schmalstöckli! Nach der eher zähen, durch den vielen Altschnee erschwerten Strahlnersaison hatten mein Bruder und ich die Schnauze voll vom Dreckwühlen und Herumkriechen in nasskalten Klüften. Sonnige Kalkwände und unbeschwerte Klettermeter waren nun genau das richtige Rezept gegen den Strahlnerkoller. Dass wir mit der Dosierung dieses Heilmittels etwas überbordeten, büssten wir am Abend mit schmerzenden Füssen und bleischweren Armen. Nun aber schön der Reihe nach:

Jahreszeitlich bedingt fuhren wir erst um 8 Uhr morgens los ins Riemenstaldnertal, wo wir beim Chäppeliberg kurzfristig - natürlich gegen Bezahlung - eine der beiden Seilbahnkabinen enterten, Gemütlich hievte uns die covid19-konform bestens durchlüftete Gondel ins Lidernengebiet. Bei der Bergstation wohlbehalten angekommen, wärmten uns die milden Sonnenstrahlen rasch wieder auf. Nach wenigen Minuten Aufstieg passierten wir bereits die Lidernenhütte, widerstanden dem verlockenden Kaffeeduft und marschierten direkt weiter zum Schmalstöckli.

Welch perfektes Timing: Beim Eintreffen am Wandfuss wurde unsere angepeilte Route just von der Sonne in warme Farbtöne gehüllt. Rasch standen wir in Klettermontur bereit und legten die Halbseile in losen Kringeln am Einstieg der «SFS» aus. Bereits in der ersten Seillänge ist eine ziemlich glatte Passage mit etwas Spürsinn zu entschlüsseln, weiter oben lässt es sich wieder forscher vorsteigen. Die Schlüsselstelle wartet in der dritten Seillänge, die man vom bequemen Standplatz auf der grossen Terrasse sehr gut studieren kann.

In dieser leicht drückenden Passage tat ich mich ungewohnt schwer. Lags an der gestrigen, langen Strahlnertour zum Galenstock? Die zwei plattigen Auftaktlängen vermochten meine Muskulatur wohl auch nicht richtig auf die optimale Funktionstemperatur zu bringen? Trotz aufgepumpten Unterarmen schaffte ich es schliesslich ohne Sturz oder Hänger zur nächsten Rettungsinsel mit den zwei glitzernden Bohrhaken. In der Selbstsicherung hängend, gönnte ich mir eine kurze Erholungsphase, bevor ich meinen Bruder nachsicherte.

Grundsätzlich habe ich es nicht ungern, wenn ich zu Beginn einer MSL-Route leicht angesäuert werde. Aus Erfahrung weiss ich mittlerweile, dass ich nach so einer kurzfristigen Überschreitung der anaeroben Schwelle bei entsprechender Erholung erst richtig in die Gänge komme. So spürte ich auch in den zwei letzten Längen der «SFS» wieder das wohltuend gute und vertraute Gefühl beim Höhersteigen. In drei Abseilmanövern gelangten wir wieder zum Wandfuss und wechselten wenige Meter nach links zum Einstieg der «Via Tanja».

Diese Linie hatte wir 1987 mit den damals üblichen, von Hand gebohrten Ringbohrhaken erstbegangen und 25 Jahre später umfassend saniert. In der ersten Seillänge fordert der Übergang von der Steilstufe auf die abschliessende Platte etwas Mut und Vertrauen in die Finger der linken Hand, die in einem seichten Loch platziert werden. Der zweite Teilabschnitt erfordert im oberen Teil gute Fusstechnik beim Hochpiazzen an der kleingriffigen Verschneidung. Der folgende Rechtsquergang sieht schlimmer aus als er in Tat und Wahrheit ist. Gute Henkel an der luftigen Turmkante und griffige Partien in der steilen Schlusswand charakterisieren die zwei folgenden Längen. Die Route endet direkt beim luxuriösen Drahtseil-Abseilstand an der Gipfelkante. Nach dreimaligem Seileinfädeln genossen wir unser mitgebrachtes Znini am Wandfuss.

Nun stand «Upat 91» auf dem Programm: Sie ist ein weiteres Produkt unserer Erschliesser-Tätigkeit am Schmalstöckli und befindet sich immer noch im Originalzustand von 1991. Die verzinkten Anker sehen nach wie vor vertrauenserweckend aus, allerdings werden wir wohl demnächst diese Linie ebenfalls sanieren und ausputzen. Beim Einstieg steckt der erste Bohrhaken relativ weit oben, was der fortschreitenden Erosion der Wandfussrinne geschuldet ist. Diese fiesen Meter lassen sich aber problemlos rechts über die «unmittelbare Südwand» umgehen.

In der zweiten Länge muss direkt vom Stand weg ein kniffliger Aufsteher praktiziert werden. Eine Untergriffschuppe hilft auf dem Weiterweg nach rechts, wo alsbald fein modellierter Plattenkalk «à la Rätikon» die Schlüsselsequenz der Route bildet. Wer diesen Kletterstil liebt, wird begeistert sein. Andere werden diese Stelle verfluchen und nicht mehr zum Schmalstöckli zurückkehren… Sicher als Schönheitsmanko darf man die Rinnenpassage der dritten Seillänge bezeichnen. Danach folgt aber wieder gutgriffige, steile Kletterei zum bereits erwähnten Drahtseil-Abseilstand. Wieder am Boden, packten wir unsere Rucksäcke und zügelten eine Etage tiefer zu den Einstiegen der westlichen Südwand.

Hier trafen wir zufällig auf Daniel Luthiger, der mit seinem Sohn Mattia soeben die «Papillon» durchstiegen hatte. Nach kurzer Unterhaltung widmeten wir uns der «Bird on a wire», die wir 1991 erstbegehen durften. Die ersten Meter verlangen ein ruhiges Gemüt, wobei eine gefädelte Sanduhr psychologische Unterstützung leistet, bis endlich der nächste Bohrhaken nach der Nische geklinkt ist. In der Folge bietet die Route eine Vielfalt an schönen Kletterzügen mit scharfen Leisten, Auflegern mit viel Gripp und oft auch henkligen Schuppen, an denen man hochturnen darf. In der vierten Länge wartet die nominelle Schlüsselstelle, bei der wohl die meisten nach links über die «Hosenscheisser-Variante» ausbüxen und durch die Verschneidung hochsteigen. In der letzten Länge folgt nach einer leicht splitterigen Wandstelle der Zusammenschluss mit der «Papillon», über die wir in vier Sequenzen rasch wieder zu Boden seilten.

Es war mittlerweile kurz nach 16 Uhr. Sollen wir als Sahnehäubchen noch die «Papillon» anhängen? Eine erneute Begehung dieser Linie mehr als dreissig Jahre nach unserer Erstbegehung war schon sehr verlockend. Die deutlich spürbare Müdigkeit sprach dagegen. Zumindest einen Versuch wollten wir wagen. Falls unsere bereits schon etwas ermatteten Arme ihr Veto einlegen sollten, konnten wir ja jederzeit umkehren. Der etwas unangenehme Einstieg gelang mit einem beherzten Zug zur rettenden Leiste problemlos und auch die kniffligen Plattentanz-Schritte kurz vor dem Stand waren rasch aufs Parkett gelegt.

Mein Bruder stieg souverän die nächste Länge vor und installierte sich gemütlich an der Standplatz-Platte unter der steilen Schlüsselstelle. Weitersteigen oder abseilen? Nach kurzer Diskussion stieg ich in dieses griffarme und leicht überhängende Wandstück. Die knapp 700 Klettermeter, die bereits in unseren Knochen steckten, forderten nun aber unweigerlich ihren Tribut. So half nur der rettende Griff zur Schlinge, welche mich über diese harte Passage brachte. Die restlichen, zwingend frei zu kletternden Stellen bis zum Standplatz blähten meine Muskulatur ein zweites Mal an diesem Tag auf. Es war definitiv Zeit für den Feierabend! Unser Ehrgeiz trieb uns aber noch die zwei letzten - zum Glück etwas gemässigteren - Längen hoch.

Mit tiefer Befriedigung zogen wir am letzten Stand eine Prise Schnupftabak ins Kleinhirn hoch und machten uns auf die letzte Abseilfahrt an diesem langen Klettertag. Um 18 Uhr erreichten wir die Lidernenhütte, wo man uns glaubhaft versicherte, dass die Seilbahn bis 19 Uhr in Betrieb sei. Beruhigt stiessen wir mit einem wohlschmeckenden Bier auf unseren intensiven Klettertag an und liessen die schönsten Passagen nochmals Revue passieren. Besten Dank an meinen Bruder Kurt für den ereignisreichen Tag und die vielen gemeinsamen Klettermeter am Schmalstöckli. Gerne wieder ein anderes Mal – zuerst ist wohl aber ein bisschen Erholung angesagt!